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Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie

Titel: Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nuala O'Faolain
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lateinisch klangen. Aber durch den Film, den Min gerade gesehen hatte, schien sie nun endgültig überzeugt, dass das Singen ihre Berufung war. Reeny schaute ihn sich ein paar Tage später ebenfalls an und erzählte mir, dass es darin um eine Opernsängerin ging, die weiß, dass sie sterben muss, wenn sie singt. Sie singt, und sie stirbt. Der Film hieß Hoffmanns Erzählungen . Reeny meinte, es hätte ja noch viel schlimmer kommen können – wenn Min sich Jailhouse Rock mit Elvis Presley angeschaut hätte, dann hätte sie danach vermutlich Rockstar werden wollen.
    Selbstverständlich hatte Min keine Ahnung, was man tun musste, um Sängerin zu werden. Ihr Entschluss hatte lediglich zur Folge, dass sie immer – wirklich jedes Mal, und zwar nicht tagelang, sondern wochenlang -, wenn sie sich über mich ärgerte, damit drohte, sie würde mich und Dad verlassen, nach England gehen und irgendeinen Job beim Theater annehmen, bis sie es schaffte, sich in der Opernwelt durchzusetzen.
    »Und wenn ich den Fußboden schrubben muss!«, verkündete sie immer wieder, und ich entgegnete dann: »Was anderes käme ja sowieso nicht infrage.«
    Dann merkte mein Vater auf und sagte leise: »Red nicht so mit deiner Tante, Miss.« Aber seine Stimme zitterte. Min jagte ihm Angst ein.

    »Weißt du noch, Reeny – Min hatte jahrelang diese beiden Bücher aus der Bibliothek ausgeliehen, Geschichte der Oper , Band eins und Band vier? Und ich habe immer zu ihr gesagt: ›Du brauchst dir wegen der fehlenden Bände keine Gedanken zu machen, du liest ja noch nicht mal die, die du hast.‹«
    »Dein Vater hat oft das alte Grammophon für sie aufgezogen«, seufzte Reeny.
    »Ja, stimmt!«
    Min hatte beim Trödler ein uraltes, mit verblasstem Plüsch verziertes Grammophon gekauft, das einen großen, fleckigen Schalltrichter hatte. Reenys Sohn Monty und Andy Sutton, die damals Teenager waren, schleppten es in unsere Küche. Wir hatten noch ein paar Sachen von Granny Barry, zum Beispiel eine Einkaufstasche mit schweren 78er-Schallplatten, jede in einer braunen Papierhülle. Die Sammlung hieß »The Great Voices«.
    Eine Zeit lang ließ Min diese zarten, erlesenen Stimmen singen, während sie bügelte. Wenn sie sehr beansprucht war, weil sie zum Beispiel Wasser auf die Laken sprühen musste, um dann zischend darüberzufahren, hatte sie keine Hand frei und konnte das Grammophon nicht rechtzeitig wieder aufziehen. Dann begannen die Stimmen von Dame Nellie Melba oder Benjamino Gigli oder Rosa Ponselle zu wackeln und gingen allmählich in ein jämmerliches Gejaule im Bassregister über. Aber mein Vater, der im Schlafanzug neben ihr auf einem Küchenstuhl saß, kurbelte den Apparat schnell wieder an und brachte dadurch die Stimmen zurück auf die richtige Tonhöhe. Wie der Schöpfer, der seinen Geschöpfen Leben einhaucht.
    »Ich werde lernen, wie man in der Oper singt«, sagte sie, während sie mit dem Bügeleisen über die Wäsche fuhr. »Sobald ich eine Gelegenheit dazu bekomme.«
    Ich schaute meinen Vater gar nicht mehr an, wenn Min so redete. Er war dann vollkommen wehrlos. Aber es war kein Spaß. Sie konnte sehr gut lesen und schreiben, wenn man bedachte,
dass sie die Schule nur sporadisch besucht hatte und mit vierzehn endgültig abgegangen war. Nur – wie sollte sie sich je in einer Partitur zurechtfinden? Und sie kannte kein einziges Wort in einer Fremdsprache. Wir hatten kein Geld. Uns gehörte nicht einmal das Haus, wir mussten jede Woche Miete zahlen, und der Mann, der das Geld kassierte, notierte die Summe in ein kleines Büchlein.
    Außerdem hatte Min im Grunde gar keine Ahnung, was eine Oper war. Ich wusste es, obwohl ich auch noch nie in der Oper gewesen war. »Ist dir klar, Min, dass in einer Oper nicht nur gesungen wird?«, fragte ich sie ein paarmal. »Zwischendrin reden die Leute nur. Du würdest vor Langeweile sterben.«
    Sie musterte mich mit einem vernichtenden Blick, der sagte: Was weißt du schon!
    Schließlich ging ich zu Schwester Cecilia und erzählte ihr, dass Min uns zu Hause terrorisierte und völlig grundlos für schlechte Stimmung sorgte.
    »Ich hatte keine andere Wahl – ich musste das tun«, sagte ich zu Reeny. »Min hat uns in den Wahnsinn getrieben.«
    »Ich weiß«, sagte Reeny. »Ich habe gesehen, wie die Schwester zu euch gekommen ist.«
    Ich ging nach draußen, als Schwester Cecilia kam, und wartete auf der Straße, während sie im Haus war. Ich hatte solche Angst! Angenommen, Min teilte ihr mit, dass sie weggehen

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