Dunkle Tage, helles Leben - Best Love Rosie
Japaner oder was weiß ich wer. Die ganze Bande von da drüben, die sind alle aus den Häusern geholt worden, und sie mussten hier in den Baracken hinter der Kirche wohnen, elende Bruchbuden waren das, der Wind fegte nur so durch. Aber damals
war ja das Essen rationiert, und es gab keine Kohlen, und sie wären jämmerlich umgekommen, wenn sie dort drüben geblieben wären.«
»Und – sind sie noch hier?«, fragte ich. Ich war so aufgeregt, dass ich gar nicht richtig reden konnte. Min und ich könnten …
»Ach nein. Sie sind wieder abgehauen, schneller als der Blitz. Sie sind nach Wales gegangen und nach Yorkshire und so weiter. Und wissen Sie, wie lange Martin Blake gebraucht hat, um die ganzen Baracken abzureißen? Raten Sie mal! Einen halben Tag hat er gebraucht. Mehr nicht. Solche Elendsschuppen waren das!«
»Aber es gibt doch sicher Nachkommen?«
»Nein, gibt es nicht«, sagte er. »Die Kinder sind alle mitgegangen – die hätten sie niemals hiergelassen. Die galten sowieso als diebisches Gesindel. Es gab keine Jobs für sie, und kein Pub wollte die Leute reinlassen. Im Grund wurden sie vertrieben, sobald es wieder Züge und Boote gab. Mein damaliger Sergeant wollte rüberfahren, um den Letzten von ihnen zu verhaften, den Kerl, der so was wie ihr Boss war, als sie noch gearbeitet haben. Den konnten sie nicht von der Insel schubsen, weil er sein Haus nämlich selbst gebaut hat. Keiner konnte ihm vorschreiben, was er tun soll.«
»Das war mein Großvater«, sagte ich.
»Das ist jetzt aber ein Witz, oder?« Er starrte mich fassungslos an. »Er war ein anständiger Mann, nach allem, was man so gehört hat«, fügte er rasch hinzu. »Man konnte nichts gegen ihn sagen. Er wollte nicht weg, als die Regierung ihn dazu aufgefordert hat. Er hat gesagt, es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, dass er wegmuss, wenn der Krieg vorbei ist. Aber dann haben sie so ein Gesetz verabschiedet, und letzten Endes ist er dann doch gegangen, und die ganze Gegend wurde gesperrt.«
»Wann ist er gegangen?«, fragte ich.
»Jimmy!« Er wandte sich an jemanden, der hinter einer Trennwand saß. »In welchem Jahr hat Roscommon gegen Cavan gewonnen?«
»1948, du alter Trottel, weißt du denn gar nichts mehr?«
»Stimmt. 1948. Ich weiß noch, wie die Leute vor den Pubs standen und versucht haben, durch die Fenster das Spiel zu hören. Und Ihr Großvater – sorry, Missus – war etwa ein Jahr allein da draußen. Ich habe 1947 hier gearbeitet, als der Sergeant ihn verhaften wollte, ohne Erfolg. Aber später hat die Regierung Männer losgeschickt, und die hatten alles juristisch einwandfrei geregelt, da ist er dann auch gegangen. Aber das heißt, er war etwa ein Jahr lang ganz allein auf der Insel.«
Ich musste mich unbedingt hinsetzen, deshalb ging ich ins Harbour Coffee Nook. Das Lokal hatte sich überhaupt nicht verändert, seit mein Dad immer mit mir dort hingegangen war, wenn wir in der Hütte Ferien machten. Für mich war dieses Café damals der Inbegriff von Luxus gewesen. Jetzt erinnerte es mich an die kleinen Milchbars in den vergessenen Provinzstädten Australiens oder an die Teestuben in Städten wie Danzig oder Eriwan – mit Wachstuchdecken auf den Tischen und staubigen Plastikblumen und bunt gestrichenen Regalen, auf denen Pyramiden aus leeren Dosen standen. Ich aß einen Cupcake mit Zitronenguss, zur Erinnerung an meinen geliebten Vater. Und an Min. Wir setzten uns nie an einen Tisch, mein Dad und ich, aber er brachte ihr immer einen Cupcake mit.
Das ESB-Büro, also die Verwaltung der Elektrizitätswerke, war gleich nebenan. Ich ging hinein, um mich zu erkundigen, ob es eventuell eine Möglichkeit gab, das Haus mit Strom zu versorgen.
»Nein«, antwortete der Beamte, noch bevor er sagte: »Ich weiß, welches Haus Sie meinen.« Er sah gut aus. Klare braune Augen und volle Lippen, die welligen grauen Haare sorgfältig frisiert.
»Als Kind war ich oft in Stoneytown«, erzählte er. »Die Inselleute – so hat man sie hier früher genannt, obwohl es ja eigentlich keine richtige Insel ist -, also die Inselleute haben immer zur Sommersonnwende am Strand ein großes Feuer gemacht, und die Einwohner von Milbay sind dann mit dem Boot rübergefahren. Ich war als kleiner Junge immer dabei. Die Inselleute haben uns mit Steinen beworfen, aber wir waren zu weit weg, sie konnten uns nicht treffen. Es gibt keinen Strom dort. Und auch keine Pläne, Leitungen zu verlegen.«
Er verstummte abrupt. Signalisierte er mir, dass er sich
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