Dunkle Umarmung
einen Moment lang tief in Gedanken versunken.
Eine warnende Sirene ertönte in meinem Innern, denn ich spürte, daß er mir etwas zu sagen hatte, was mich sehr unglücklich machen würde. Ich biß mir fest auf die Unterlippe, während ich auf seine Worte wartete. Schließlich wandte er sich mir wieder zu, und sein Lächeln war zarter, aber auch schwächer.
»Ich weiß, daß du nicht glücklich bist, Leigh, und daß deine Mutter dir viel von dem genommen hat, was du geliebt hast.
Sie hat dich in eine fremde, neue Welt gesteckt. Ich habe in meinem Berufsalltag ständig mit den Wohlhabenden und Einflußreichen zu tun, und daher weiß ich gut, wie unsensibel und egoistisch sie sein können. Ihr Geld macht sie blind und schützt sie vor der Wirklichkeit.
Es tut mir leid, daß dir all das zugestoßen ist. Glaube nicht, es hätte mich nicht innerlich zerrissen, nicht bei dir zu sein, als du mich gebraucht hast.
Mein einziger Trost ist der, daß du intelligent und gefestigt bist. Alle van Voreens waren durchsetzungsfähige Menschen, die erfolgreich gegen alle Hindernisse angekämpft haben, um sich ihr Leben aufzubauen. Uns hat der Erfolg nicht verweichlicht. Wenigstens hast du das geerbt.«
Ein Teil von mir schrie danach, ihm die Wahrheit zu sagen und über das, was Großmama Jana mit Mama besprochen hatte, mit ihm zu reden. Aber ich wollte ihn nicht noch mehr verletzen. Außerdem hatte ich Angst, seine Liebe zu verlieren.
Was wäre gewesen, wenn er mich plötzlich nicht mehr als seine Tochter angesehen hätte? Mir blieb nichts anderes übrig, als zu lächeln, zu nicken, meine Hand über den Tisch zu strecken und nach seiner zu greifen.
»Jedenfalls«, sagte er und kam zu den schlechten Nachrichten, »muß ich dir sagen, daß ich dich jetzt eine Zeitlang leider nicht sehen kann. Ich eröffne ein Büro in Europa.«
»Was heißt eine Zeitlang, Daddy. Wie lange?«
»Ich komme nicht vor dem Sommer zurück, frühestens«, gestand er. »Aber sobald ich wieder da bin, werden wir soviel Zeit zusammen verbringen, wie du möchtest, das verspreche ich dir.«
Ich hatte plötzlich einen Kloß im Hals, der mich zu ersticken drohte. Die Tränen, die ich zurückhielt, brannten. Wie konnte ich damit fertig werden, daß Daddy so lange fort blieb? Zu wem konnte ich überhaupt noch gehen, wenn ich Rat, Liebe und eine wärmende Umarmung suchte?
»Natürlich werde ich dir oft schreiben«, versprach er eilig,
»und hoffen, daß du meine Briefe beantwortest.«
»Ja, Daddy, das werde ich tun.«
»Sobald ich weiß, wann ich zurückkomme, werde ich Vorkehrungen treffen, dich zu sehen.« Er tätschelte meine Hand.
Auf der Rückfahrt nach Winterhaven saßen wir auf dem Rücksitz des Taxis ganz dicht nebeneinander, und Daddy hatte seinen Arm um mich gelegt. Ich hörte ihm zu, als er mir von seinen Reisen erzählte, von den Dingen, die er gesehen, und den Menschen, die er kennengelernt hatte, aber ich nahm seine Worte nicht wahr, nur den Klang seiner Stimme.
Daddy küßte mich vor der Schule und drückte mich an sich.
Jennifer erwartete mich in unserem Zimmer. Sie wollte alle wunderbaren Einzelheiten über mein Abendessen mit Daddy hören. Ich wußte, daß sie durch mich dieses Glück noch einmal erleben und sich vielleicht auch an die glücklichen Zeiten erinnern wollte, die sie mit ihrem eigenen Vater verbracht hatte. Daher erzählte ich ihr nichts von den traurigen Seiten.
»Ich danke dir, daß du mir soviel von deinem Daddy erzählst, Leigh«, sagte sie schließlich. »Gute Nacht.«
Jennifer rollte sich mit seligen Erinnerungen zusammen, und ich kehrte ihr den Rücken zu und weinte leise, bis ich einschlief.
12. KAPITEL
WEITERE ÜBERRASCHUNGEN
Sämtliche Mädchen im »Privatclub« wußten, daß Tony mich am Freitag abholte, und daher begleiteten sie mich alle zum Haupteingang von Winterhaven und scharten sich wie Hennen um mich. Mich brachte die Vorstellung, was sie alles tun oder sagen könnten, so in Verlegenheit, daß ich die Treppe schon hinunterlief, bevor Tony aus dem Wagen steigen konnte.
»Wir sehen uns dann am Sonntag, Leigh!« ertönte ein Chor von Stimmen. Dann hasteten sie wieder die Stufen hinauf.
Tony sah mich scharf an und lächelte dann, als Miles losfuhr.
»Es sieht ja ganz so aus, als hätte ich recht gehabt – du scheinst schnell eine Menge Freundschaften geschlossen zu haben. Hat dir diese erste Woche hier Spaß gemacht?«
»Ja, Tony, und ich mag meine Zimmergenossin Jennifer sehr gern. Ich würde sie
Weitere Kostenlose Bücher