Dunkle Umarmung
sie an und lächelte durch verkniffene Lippen. »Er sitzt in meinem Büro und wünscht Sie zu sprechen.«
»Ist etwas passiert?« Mein Herz schlug rasend vor Angst um den kleinen Troy.
»Nein, ganz gewiß nicht«, sagte sie.
Als ich die anderen ansah, lächelten sie alle verstohlen und unterdrückten mühsam das Lachen.
»Danke«, sagte ich und folgte ihr.
»Bitte«, sagte Miß Mallory, »Sie können mein Büro benutzen, solange Sie es wünschen.« Sie ließ Tony und mich allein. Er saß auf dem Ledersessel am Schreibtisch und sah in seinem zweireihigen dunkelblauen Anzug äußerst distinguiert aus.
»Ist alles in Ordnung?« fragte er mit festem Blick.
»Ja«, sagte ich. »Ich komme gut zurecht. Wie geht es Troy?«
»Es geht ihm schon viel, viel besser. Ich nehme an, wir werden ihn in etwa einer Woche wieder nach Hause holen können.«
»Das ist ja wunderbar, Tony.« Ich wich seinem Blick aus, denn er sah mich immer noch gebannt an. »Wie geht es Mama?«
»Unverändert«, seufzte er. »Sie hält sich an eine neue Diät…
ihr Mittagessen setzt sich aus etwas Champagner und Gurkenschnitten zusammen. Ach ja, und sie lernt Bridge.«
»Bridge?«
»Ja. Es scheint, als spielten alle Frauen, die sie bewundert, Bridge. Ich zahle jemanden dafür, daß er ihr Unterricht erteilt und ihr alle Feinheiten beibringt.« Er schlug die Beine übereinander, ehe er mit den Fingern peinlich genau die scharfe Bügelfalte seiner blauen Hose nachfuhr. Er hatte lange, kräftige Finger, und seine Nägel schimmerten.
»So«, sagte er, »du brauchst also nichts? Kleider, Schulbedarf, Taschengeld… irgend etwas?«
»Nein«, sagte ich, aber ich hätte zu gern gesagt, daß ich eine fürsorgliche Mutter brauchte.
»Gut«, sagte er und stand auf. »Vielleicht kann ich abends einmal vorbeikommen und dich zum Abendessen ausführen, ehe ich nach Farthy zurückfahre. Hättest du Lust darauf?«
»Nicht diese Woche«, erwiderte ich eilig. »Daddy ruft mich an und holt mich zum Abendessen ab.«
»Oh.« Seine Mundwinkel verzogen sich ein wenig. Er bemühte sich zwar, nichts zu zeigen, aber ich erkannte, daß er es nicht gewohnt war, abgewiesen zu werden.
»Vielleicht nächste Woche«, sagte ich schnell, und seine Augen leuchteten wieder auf.
»Schön. Jedenfalls komme ich am Freitag so gegen fünf vorbei, um dich mit dem Wagen abzuholen. Viel Spaß beim Abendessen mit deinem Vater.« Er küßte mich kurz auf die Stirn, ehe er die Tür des Büros öffnete, um zu gehen.
Als ich wieder in den Speisesaal zurückkam, fand ich den
»Privatclub« komplett am Fenster versammelt, und alle gafften Tony an, der neben seiner Limousine stand und mit Miß Mallory sprach. Alle machten »Ooooh« und »Aaaah« und schnappten nach Luft. Sobald sie mich sahen, kamen sie an den Tisch zurück.
»Der sieht wirklich gut aus«, schwärmte Ellen. »Jennifer hat ausnahmsweise einmal nicht übertrieben.«
»Wann werden wir alle auf Farthinggale Manor eingeladen?«
fragte Marie, und alle riefen aufgeregt durcheinander. Ich sagte ihnen, daß ich sie bald alle für ein Wochenende einladen würde. Plötzlich war ich das beliebteste Mädchen in ganz Winterhaven.
Daddy rief am Mittwoch an und kam am Donnerstag, um mich zum Abendessen auszuführen. Sobald man mir sagte, daß er angekommen war, stürmte ich durch den Korridor in seine ausgebreiteten Arme. Er lachte und gab mir einen dicken Kuß.
Dann hielt er mich weiter von sich, um mich ansehen zu können.
»Du wächst so schnell, daß ich dich kaum noch wiedererkenne«, sagte er. »Ich bin froh, daß du in eine Mädchenschule gehst«, fügte er dann hinzu, sah sich um und nickte. »Sonst würden dir so viele Jungen nachlaufen, daß ich sie mit einem Stock vertreiben müßte.«
»O Daddy.«
»Komm mit«, sagte er und hielt mir seinen Arm hin, damit ich mich bei ihm einhängen konnte. »Ich will alles über deine neue Schule hören, über deine neuen Freundinnen und was sonst so passiert ist, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben.«
Er führte mich zu dem Taxi, das uns erwartete, und wir aßen in einem eleganten Restaurant zu Abend. Er hörte mir aufmerksam zu und hatte seinen Blick auf mich gerichtet, als versuche er, mein Bild in sich aufzusaugen. Ich redete und redete und war so aufgeregt, weil er wirklich hier war. Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert, bis ich die Flitterwochen erwähnte. Dann wurden seine Augen immer kleiner, und sein Mund wurde immer schmaler. Er wandte den Blick ab und war
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