Dunkle Umarmung
aufzuhören.
»Und außerdem wollte Tony dich sehen. Du bist ihm sehr ans Herz gewachsen, Leigh. Du kannst dir nicht annähernd vorstellen, wie sehr mir das das Leben erleichtert. Bitte, sei mir nicht böse«, schmeichelte sie und breitete wieder die Arme aus.
Ich wollte ihr widerstehen; ich wollte reden und reden, bis sie endlich verstand, wie grausam sie mich behandelt hatte, aber auf ihrem Gesicht stand eben dieses sanfte Lächeln, das ich als kleines Mädchen an ihr geliebt hatte.
Ich drückte sie an mich und ließ mich von ihr festhalten. Sie wärmte meine Wangen mit Küssen und strich mir über das Haar, und irgendwie war es mir unangenehm, daß mich das glücklich machte. Dann setzte sie mich neben sich auf ihr Bett, um mir von all den neuen Freundinnen zu erzählen, die sie gewonnen hatte, eine reicher als die andere, und alle stammten aus angesehenen Familien.
»Warum schaust du denn immer noch so traurig?« fragte sie plötzlich. »Liegt es vielleicht an deinem Abendessen mit deinem Vater?« Ihre Augen zogen sich argwöhnisch zusammen. »Tony hat mir davon erzählt.«
»Nein, Mama. Doch, ja, es hat schon auch damit zu tun«, gestand ich und erzählte ihr von Daddys Plänen, eine europäische Filiale zu gründen, und von seiner langen Abwesenheit.
»Das überrascht mich nicht, Leigh«, zischte sie. »Und du brauchst nicht zu glauben, wenn wir nicht geschieden wären, hätte er nichts dergleichen unternommen. Ach, wenn ich an die kostbare Zeit denke, die ich vergeudet habe, an meine vergeudete Jugend!« Ihr Gesicht glühte einen Moment lang vor Enttäuschung und Wut, doch dann sah sie sich im Spiegel.
»Oh, ich darf es mir einfach nicht erlauben, die Stirn zu runzeln!« rief sie mit einer solchen Verzweiflung aus, daß ich wirklich zusammenzuckte. »Schließlich sagt einer der besten Schönheitsexperten, daß das Stirnrunzeln die Faltenbildung beschleunigt.« Es klang geradezu hysterisch. »Ich habe einen Artikel gelesen, den er geschrieben hat. Menschen mit einem stillen und glücklichen Naturell altern weit langsamer als Menschen, die sich ständig aufregen und ärgern. Der Trick besteht darin, seinen Zorn zu unterdrücken und schnell an etwas Erfreuliches zu denken.« Sie lächelte strahlend, als wollte sie es demonstrieren.
»Und jetzt muß ich warm duschen und mir vor dem Abendessen noch etwas ins Gesicht massieren. Dann können wir uns zusammensetzen, und du wirst mir alles über Winterhaven erzählen, einverstanden?«
Mir schwirrte der Kopf von all den verschiedenen Themen, die sie innerhalb von wenigen Minuten angeschnitten hatte.
»Aber ich will dich etwas fragen, Mama. Tony habe ich schon gefragt, und er hat gesagt, er hätte nichts dagegen, wenn es dir recht ist.«
»Worum geht es denn?« Sie verzog das Gesicht, als bereite sie sich innerlich auf eine fürchterliche Frage oder ein scheußliches Ansinnen vor.
»Ich habe ein paar nette Mädchen in Winterhaven kennengelernt und mich mit ihnen angefreundet, insbesondere mit meiner Zimmergenossin Jennifer Longstone. Ich würde sie gern am Wochenende einmal einladen.«
»Am Wochenende! O nein, Leigh, in der nächsten Zeit nicht, bitte. Ich kann nicht zulassen, daß du Scharen von Mädchen auf dem Anwesen herumführst und ganz und gar mit diesen neuen Freundinnen beschäftigt bist. Ich brauche dich, um Tony abzulenken. Er möchte dir Reiten und Skilaufen beibringen.
Das hat er mir selbst gesagt, und er freut sich schon darauf, die Wochenenden dafür nutzen zu können.
Du hast mir versprochen, mir in der Hinsicht zu helfen. Das hast du mir wirklich versprochen, Leigh«, erinnerte sie mich, und ihr Gesicht verzerrte sich. »Ich bin sicher, daß Tony nur aus Höflichkeit ja gesagt hat, als du ihn darum gebeten hast.
Ihm wäre es wesentlich lieber, wenn er dich ganz für sich allein hätte, wenigstens eine Zeitlang. Später kannst du deine Freundinnen hierher einladen, aber einzeln.«
»Aber Mama, wir haben doch soviel Platz hier. Wir brauchen sie doch nicht einzeln einzuladen«, rief ich aus.
»Das werden wir noch sehen. Ich bin sicher, daß es alles nette und anständige Mädchen sind, wenn sie Winterhaven besuchen«, fügte sie noch hinzu und ging ins Bad. »Aber bitte, Leigh, mach mir keine Schwierigkeiten mehr. Ich bin ohnehin vollkommen ausgelaugt«, rief sie noch und ließ diesen Worten ein zwitscherndes Lachen folgen.
Mein erstes Wochenende, an dem ich von Winterhaven nach Hause zurückkehrte, begann so, wie fast jedes dieser
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