Dunkle Umarmung
Wochen zuvor, ließ mir den Teller nachfüllen und aß meinen Nachtisch. Mama bemerkte eine Veränderung, aber ich erzählte ihr nicht, daß Daddys Ankunft unmittelbar bevorstand.
An dem Tag, an dem Daddy in Boston eintreffen sollte, erwachte ich sehr früh. Ich wollte mich in dem Moment, in dem Daddy anrief, von Miles in die Stadt fahren lassen, und deshalb hatte ich mich schon angezogen und gefrühstückt, als meine Mutter nach unten kam. Für den Nachmittag hatte sie ein paar Freundinnen zum Bridge eingeladen, und ich wußte, daß sie Stunden damit zubringen würde, sich zurechtzumachen.
Kurz vor dem Mittagessen rief Curtis mich ans Telefon. Ich stand mit Troy vor der Tür, und wir sahen den Gärtnern bei der Arbeit zu.
»Ist es mein Vater?« fragte ich eifrig.
»Er hat nur gesagt, er riefe in Mr. van Voreens Auftrag an«, erwiderte Curtis in seiner gewohnten nichtssagenden Ausdrucksweise. Ich lief ins Haus und zum Telefon im Wohnzimmer.
»Hallo«, sagte ich. »Hier ist Leigh.«
»Miss van Voreen, mein Name ist Chester Goodman. Ich arbeite für Ihren Vater, und er hat mich gebeten, Sie anzurufen.«
»Ja?« sagte ich ungeduldig, weil er sich so lange bei den Formalitäten aufhielt. Mir war ganz gleich, wie er hieß. Ich wollte nur die Einzelheiten zu Ort und Zeit unseres Treffens hören.
»Er läßt sich entschuldigen. Es tut ihm leid, aber er kann Sie heute nicht treffen.«
»Was?« Ich spürte, wie die Farbe aus meinem Gesicht wich.
Meine Brust kam mir so kalt und leer vor, daß ich sicher war, mein Herz hätte aufgehört zu schlagen. »Warum nicht? Ich muß ihn sehen. Es muß sein!« beharrte ich. »Sagen Sie es ihm, bitte lassen Sie mich selbst mit ihm sprechen. Ich verlange, daß Sie mich mit ihm verbinden.«
»Es tut mir leid, Miss van Voreen, aber er ist nicht mehr hier.
Einer der Ozeandampfer der Van-Voreen-Linie ist im Pazifik gesunken. Die Bergungsarbeiten haben schon begonnen, und er mußte umgehend hinfliegen.«
»O nein!«
»Ich soll Ihnen ausrichten, daß er Sie bei der ersten sich bietenden Gelegenheit anruft. Miss van Voreen?«
Ich antwortete nicht. Ich legte auf und lehnte mich betäubt auf dem Stuhl neben dem Telefon zurück. Hatte Daddy denn nicht die Verzweiflung aus meiner Stimme herausgehört?
Warum hatte er es nicht so einrichten können, daß er mich vorher noch traf, oder warum hatte er mich nicht ganz einfach mitgenommen? Wir hätten im Flugzeug miteinander reden können. Warum war ihm seine Firma wichtiger als seine Tochter?
Plötzlich kam ich auf einen erschreckenden Gedanken.
Vielleicht wußte er es; vielleicht hatte er schon immer gewußt, daß ich in Wirklichkeit gar nicht seine Tochter war, und vielleicht stand ich bei ihm deshalb ganz oben auf der Liste der unwesentlichsten Dinge auf Erden.
Ich vergrub mein Gesicht in den Händen.
»Leigh?« Das war Troy. »Kommst du jetzt wieder raus?«
»Nein«, sagte ich. »Ich fühle mich nicht gut. Ich muß rauf gehen und mich ein Weilchen hinlegen.«
Sein Gesicht wurde lang. »Spielst du später wieder mit mir?«
»Ich weiß es nicht, Troy. Es tut mir leid«, murmelte ich und ging auf die Treppe zu. Ich war so benommen, daß ich gar nicht merkte, wie ich in meine Suite gelangt war. Plötzlich stellte ich fest, daß ich längst in meinem Schlafzimmer stand.
Ich ging zu meinem Bett und legte mich hin. Ich hatte Kopfschmerzen, und mir war ganz komisch im Magen. Mir war so flau, daß ich mir kaum noch zu helfen wußte.
Ich fühlte mich eingesperrt wie in einer Falle. Noch schlechter als jetzt konnte es mir niemals gehen, dachte ich.
Doch es ging mir bald noch schlechter, nämlich schon am nächsten Morgen. Ich hatte die Augen erst wenige Sekunden aufgeschlagen, als es über mich hereinbrach: Wogen von Übelkeit. Eine Woge folgte auf die andere, und sie wurden schlimmer und immer schlimmer, bis ich aufspringen und ins Bad rennen mußte, um mich zu übergeben. Ich fühlte mich so elend, daß ich glaubte, sterben zu müssen. Endlich legte sich die Übelkeit, und ich machte mich auf den Rückweg zu meinem Bett, um mich auszuruhen.
Was war los? Hatte ich etwas gegessen, was mir nicht bekommen war? Aber warum kam die Übelkeit in diesen Wogen? fragte ich mich.
Und dann wurde mir plötzlich etwas bewußt. Ich hatte es vollkommen vergessen, weil mich in diesen letzten eineinhalb Monaten so viele andere Dinge beschäftigt hatten… Meine Periode war überfällig.
Und jetzt auch noch diese morgendliche Übelkeit! O nein, dachte
Weitere Kostenlose Bücher