Dunkle Umarmung
brüllte ich zurück. »Du scheinheilige Heuchlerin! Jetzt verdammst du mich dafür, zu weit gegangen zu sein. Ich kenne die Wahrheit über dich. Ich habe mitangehört, als Großmama Jana mit dir geredet hat, und ich weiß, daß Daddy gar nicht mein richtiger Vater ist, daß du mit einem anderen Mann geschlafen hast und schwanger von ihm warst. Du hast Daddy geheiratet, ohne ihm die Wahrheit zu sagen, damit er glaubt, ich sei sein Kind. Ich wußte es, aber ich habe es als ein tiefes Geheimnis in meinem Innersten bewahrt, obwohl es schrecklich schmerzhaft für mich war.«
»Also, das ist ja…« Sie lehnte sich zurück und sah mich bestürzt an.
»Das ist wahr«, unterbrach ich sie. »All das ist wahr. Aber deine Mutter hat dir geholfen, einen Mann zu finden, einen Mann, der dich liebt und achtet.«
»Das ist ja einfach lachhaft«, schnappte sie. Sie sah sich um, als hätten wir einen Zeugen, den sie für sich gewinnen mußte.
»Was erzählst du denn jetzt schon wieder für Märchen? Ist das schon wieder ein Versuch, Tony und mich
auseinanderzubringen?«
»Hör auf! Hör auf zu lügen!«
»Wie kannst du es wagen, mich derart anzuschreien! Ich bin deine Mutter!«
»Nein, das bist du nicht«, sagte ich kopfschüttelnd und wich vor ihr zurück. »Nein, das bist du nicht. Ich habe keine Mutter, und ich habe keinen Vater.« Ich gestattete es mir, ebenso häßliche Worte zu benutzen, wie sie es getan hatte. »Du hast geglaubt, du könntest alles haben, stimmt’s? Nur vom Besten!«
fauchte ich. »Einen gutaussehenden jungen Ehemann, einen luxuriösen Landsitz, eine Garderobe, die nur aus Modellkleidern besteht, und eine von dir gewählte Mätresse für deinen eigenen Ehemann!« Ich senkte die Stimme, um zu schnurren, wie Mama es bei zahllosen Anlässen getan hatte.
»Sag mir eins, Mama, wann bist du zum ersten Mal auf den Gedanken gekommen? In euren Flitterwochen? Bei der Rückkehr nach Farthy?« Meine Fragen wurden immer sarkastischer, und ich erlaubte Mama keine Antwort, wie sie es allzu häufig mit mir getan hatte. »Wann hast du erkannt, daß deine Schönheit nicht ewig währt, sondern verwittert?« Ich lachte ihr ins Gesicht. »Genauso ist es, du verwelkst! Du wirst von Tag zu Tag älter, Mama. Aber in deinem tiefsten Innern hast du das schon immer gewußt. Ich kann dich nicht mehr ertragen! Dir ist alles andere gleichgültig, nur nicht du selbst und dein kostbares Gesicht. Laß dir eins von mir sagen, Jillian Tatterton, das Spiel ist aus! Du wirst Großmutter! Gibt dir das das Gefühl, jung zu sein? Wenn du auch noch so jung aussehen magst, dann kannst du doch niemals vor der Tatsache davonlaufen, daß du Großmutter bist, und der einzige Mensch, dem du das vorwerfen kannst, bist du selbst!« Ich wandte mich ab und verließ ihre Suite. Ich lief vor ihren Lügen und ihren scheinheiligen Blicken davon. Ich schlug die Tür meines Zimmers hinter mir zu, aber ich weinte nicht. An diesem abscheulichen Ort würde ich nicht mehr weinen. Ich haßte dieses Haus, und mir war verhaßt, was sich hier abgespielt hatte, aber mir war auch verhaßt, was dieser Ort aus mir gemacht hatte. Ich wußte nur noch eins: Ich mußte von hier verschwinden, von diesem Ort der Sünden, der Lügen und der Scheinheiligkeit.
Ich riß die Tür meiner Kleiderkammer auf und schnappte mir einen Koffer. Ich warf achtlos ein paar Kleidungsstücke in den Koffer. Ich machte mir nichts aus meinen schönen Sachen und meinem kostbaren Schmuck. Ich wollte nur noch so schnell wie möglich von hier verschwinden.
Ich klappte meinen Koffer zu und wollte die Suite verlassen, doch in der Tür blieb ich noch einmal stehen und sah mich um, als hätte mich jemand gerufen. Angel starrte mich durch das Zimmer an. Sie wirkte so traurig und verloren, wie ich es war.
Wie hätte ich sie zurücklassen können? Ich zog sie in meine Arme und stürzte mit dem Koffer in der Hand aus dem Zimmer.
Erst als ich die Treppe hinter mich gebracht hatte, blieb ich stehen, um mich zu fragen, was ich eigentlich tat und wohin ich gehen wollte. Ich konnte Farthy nicht zu Fuß verlassen. Im Umkreis von Meilen war weit und breit nichts.
Großmama Jana, dachte ich. Ich mußte zu ihr fahren. Sie konnte mich sicher verstehen. Sie kannte Mama und wußte, was für ein Mensch sie wirklich war. Ich mußte ihr alles erzählen, was sich abgespielt hatte. Ich sah in mein Portemonnaie und stellte fest, daß ich kaum zwanzig Dollar hatte, nicht genug, um die Reise nach Texas zu bezahlen. Ich
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