Dunkle Umarmung
mitleidigen Blick, der mich nur noch mehr aufbrachte.
»Ich hatte gehofft, deine Haltung würde sich ändern, da Jillian jetzt wieder da ist, aber ich sehe, daß alles wahr ist, was man mir über Teenager von heute erzählt hat. Dennoch mußt du wissen, daß ich immer Verständnis und Mitgefühl für dich aufbringen und dich nie lächerlich machen werde.«
»Du bist ekelhaft«, zischte ich durch zusammengebissene Zähne. Er lächelte immer noch. Dann versuchte er, sich bei mir einzuhängen, aber ich wich zurück. »Rühr mich nicht an, nie wieder!«
Er nickte und ließ mich mit einer höflichen Geste vorausgehen. Ich lief meiner Mutter nach. Tony folgte uns nicht ins blaue Zimmer, in dem Mama ihre Einkäufe aufgetürmt hatte. Ich setzte mich aufs Sofa und sah zu, wie sie Pullover, Blusen, Röcke und Ledergürtel auspackte. Sie schenkte mir eine mit Diamanten besetzte goldene Uhr. Sie hatte kunsthandwerkliche Gegenstände gekauft, kleine Plastiken, Schmuckkästchen und Handspiegel, die in Elfenbein gefaßt waren. Zu jedem Gegenstand hatte sie eine Geschichte zu erzählen, wie sie ihn entdeckt hatte, was für ein Geschäft das gewesen war, wie die anderen Frauen darüber geurteilt hatten, wenn sie etwas gekauft hatte. Sie brüstete sich damit, daß die anderen ihr nachgelaufen waren und alles getan hatten, was sie tat, alles gekauft hatten, was sie vor ihnen gekauft hatte.
»Plötzlich fand ich mich in die Rolle eines Idols gedrängt«, prahlte sie. »Kannst du dir das vorstellen? All diese schrecklich reichen, vielgereisten Frauen waren darauf angewiesen, daß ich ihnen sage, was schick ist, was ein echter Kunstgegenstand ist und was ein guter Kauf ist. Ich hätte eigentlich Prozente kassieren sollen.« Sie unterbrach sich und sah mich an, als sähe sie mich zum erstenmal.
»Du siehst ein wenig müde aus, Leigh. Du solltest dich morgen in die Sonne setzen. Du darfst dich nicht einfach in deinen Zimmern verkriechen. Das ist ungesund. Dort ist die Luft stickig und abgestanden, und solche Luft kann der Haut schaden. Ich hatte lange Gespräche mit den Experten in diesem phantastischen Kurort«, sagte sie schnell, ehe ich ihr ins Wort fallen konnte. »Hast du nie bemerkt, daß Schweizerinnen einen ausgezeichneten Teint haben? Das ist teilweise auf ihre Ernährung zurückzuführen«, fuhr sie fort, als säße ich als Schülerin in einer Unterrichtsstunde, »aber teilweise auch auf die Gymnastik, die frische Luft, die Sauna und die Schlammpackungen. Ich habe Tony schon gebeten, mir eine Sauna ins Badezimmer zu bauen«, schloß sie.
»Mama, ich sehe so aus, weil ich eine gräßliche Erfahrung hinter mir habe. Wenn du mir bloß zuhören würdest, ich meine, wirklich zuhören…«
»Du fängst doch nicht etwa schon wieder damit an, Leigh?«
sagte sie und zog einen Schmollmund. »Das halte ich einfach nicht aus. Ich weiß ohnehin nicht, wieso ich noch nicht zusammengebrochen bin, wenn man bedenkt, wie wenig Schlaf und Ruhe ich bekommen habe, seit ich aus der Schweiz abgereist bin. Ich habe mich gezwungen, nur um deinetwillen und für Tony energiesprühend und überschäumend zu wirken, aber jetzt bin ich müde. Ich gehe nach oben.«
»Mama.«
»Gute Nacht, Leigh. Ich hoffe, die Uhr gefällt dir.« Sie ließ mich dort sitzen, inmitten der geöffneten Päckchen und Pakete.
Ich stopfte meine neue Uhr wieder in ihr Etui. Wen interessierte das schon? Was hatten edle und teure Gegenstände jetzt noch zu bedeuten? Glaubte sie etwa, mit Gold und Diamanten ließe sich alles wieder in Ordnung bringen?
Ich war am Boden zerstört und dachte, daß ich ebensogut unsichtbar sein könnte. Mama wird mich nicht ansehen, mich nicht anhören und die Wahrheit nicht erkennen. Der Glanz und Glitzer ihres eigenen Lebens blendeten sie.
Es war auch später jedesmal dasselbe, wenn ich versuchte, diese gräßliche Geschichte anzusprechen. Mama beachtete mich gar nicht. Schließlich gab ich auf. Die meiste Zeit verbrachte ich damit, allein am Strand spazierenzugehen oder auszureiten. Die Seeluft, die Geräusche der Brandung und der wohltuende Anblick der Wellen wirkten beruhigend auf mich.
Ich las, schrieb in dieses Tagebuch, hörte meine Platten an und verbrachte viel Zeit mit Troy.
Jennifer rief etliche Male an, doch ich rief nie zurück. Auch bei Joshua meldete ich mich nicht. Er hatte ohnehin Ende Juni angerufen, um mir zu sagen, daß er mit seiner Familie Urlaub machen und fast einen Monat lang fort sein würde. Er hatte gehofft, mich
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