Dunkle Umarmung
wandte mich an meine Puppe.
»O Angel«, seufzte ich. »Wenn du bloß reden könntest! Du bist meine einzige Zeugin.«
18. KAPITEL
KONFRONTATIONEN
Ich stand auf und zog mich an, um zum Abendessen nach unten zu gehen. Obwohl ich den ganzen Tag über nur sehr wenig gegessen hatte, hatte ich keinen Appetit, aber ich hatte die törichte Hoffnung, ich könnte Mama doch noch irgendwie dazu bringen, die Wahrheit zu erkennen. Sie hätte nichts weiter zu tun brauchen, als sich mein Gesicht einmal näher anzusehen, dachte ich. Ich brachte wenig Begeisterung dafür auf, mir das Haar zu bürsten. Es spiegelte mein inneres Befinden wider und wirkte stumpf, matt und schlaff. Die Mattigkeit und die emotionale Erschöpfung war deutlich in meinen Augen abzulesen. Mit hängenden Schultern stieg ich die Stufen hinunter.
Zu meinem Erstaunen saß Mama bereits mit Tony am Tisch.
Ich hörte die beiden lachen, als ich auf das Eßzimmer zukam.
Sobald ich eintrat, unterbrachen sie sich und wandten sich zu mir um. Tony warf einen Blick auf meine Mutter, und dann lächelte er mich an.
»Fühlst du dich wieder besser, Leigh?« fragte er, und sein wahres Gesicht verbarg sich hinter einer Maske väterlicher Sorge.
Ich schwieg und ging an meinen Platz, und dabei spürte ich die Blicke beider auf mir ruhen.
»Ich war gerade dabei«, flötete meine Mutter mit einer heiteren, gutgelaunten Stimme, »Tony von den Walston-Zwillingen zu erzählen. Sie kommen aus Boston, und ihr Vater hat einen Landsitz in Hyannis. Aus einem ihrer Beine kann man meinen ganzen Körper formen. Die Walroß-Zwillinge, so haben wir sie in dem Kurzentrum alle genannt. Allein schon, die beiden zusammen in der Sauna zu sehen!« kicherte sie und warf den Kopf zurück. »Ich meine, jede einzelne Frau dort hat sich in dem Moment, in dem sie die beiden angesehen hat, gleich zwanzig Pfund leichter gefühlt. Das Komischste von allem ist jedenfalls, daß jede von ihnen bei der Kur fünf Pfund zugenommen hatte, statt abzunehmen. Es scheint, als hätten sie Kuchen und Pudding aus der nächsten Ortschaft ins Sanatorium geschmuggelt. Kannst du dir vorstellen, daß jemand so viel Geld ausgibt, um fünf Pfund zuzunehmen?«
Tony schüttelte den Kopf und fiel in ihr Lachen ein. Ich konnte nicht glauben, daß sie so glücklich waren. Nichts, was ich Mama erzählt hatte, war von Bedeutung. Mama erzählte eine Geschichte nach der anderen über die reichen Frauen, die zur Kur gewesen waren. Tony war ein perfektes Publikum für sie. Er lachte und wurde immer nur ernst, wenn sie ernst wurde.
Nachdem sie aufgehört hatte, über die Damen herzuziehen, die mit ihr auf Diät gesetzt worden waren, berichtete ihr Tony ausführlich vom Erfolg der Puppen. Zwischendurch drehte sich meine Mutter immer wieder zu mir um und riß die Augen weit auf, um ihr Erstaunen auszudrücken. Ich weigerte mich, an dem Gespräch teilzunehmen. Dieses eine Mal mußten meine
Wünsche und Bedürfnisse einfach berücksichtigt werden. Ich wußte, daß das, was mir zugestoßen war, entsetzlich war. Es brach mir das Herz, daß sie meine Qualen so mühelos verdrängte.
»Ich möchte, daß du dir ein paar der Dinge ansiehst, die ich in der Schweiz gekauft habe, Leigh«, kündigte meine Mutter an, als der Kaffee serviert worden war. »Sie sind im blauen Zimmer. Ich habe dir auch ein wunderbares Geschenk mitgebracht.«
Sie erhob sich und erteilte Curtis eine Anweisung, als sie das Eßzimmer verließ. Tony und ich standen ebenfalls auf. Als wir ihr folgten, hielt Tony mich am rechten Ellbogen fest. Er wollte verhindern, daß Mama hörte, was er mir zu sagen hatte.
»Ich will nur, daß du weißt, Leigh, daß ich dir nicht verüble, was du Jillian erzählt hast. Wir beide verstehen, wie einem Mädchen zumute ist, daß buchstäblich über Nacht zur Frau wird.« Er lächelte, und seine blauen Augen drückten Sanftmut und Verständnis aus. Sein beiläufiger Tonfall war zum Verrücktwerden. Einen Moment lang hatte ich einen Kloß in der Kehle. Ich schluckte schwer und biß mir fest auf die Zunge.
»Kommst du, Leigh?« rief mir Mama zu.
»Ja«, sagte ich und wandte mich dann entrüstet zu Tony um.
Ich starrte ihn mit Augen an, die Haß und Feuer sprühten. Wut flammte in meiner Brust auf. Mit eisiger Stimme sagte ich: »Es mag sein, daß du sie für den Moment hinters Licht geführt hast, aber mit der Zeit wird sie mir glauben, denn jemand wie du kann sein wahres Ich nicht ewig verbergen.«
Er schüttelte den Kopf mit einem
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