Dunkle Umarmung
links neben mir einen kleinen Jungen mit dunklen wißbegierigen Augen, die so groß wie Taler waren und mich vom Sofa her anschauten. Offensichtlich hatte er sich hinter dem Sofa versteckt. Er hatte genau dasselbe dunkelbraune Haar wie Tony Tatterton, und er trug es lang, aber gleichmäßig geschnitten. Er sah aus wie ein kleiner Prinz.
Er war mit einem dunkelblauen Matrosenanzug bekleidet.
»Komm her, Troy«, drängte ihn Tony Tatterton, »damit ich dich entsprechend vorstellen kann. Komm schon.«
Der kleine Junge zögerte und starrte mich weiterhin an.
»Hallo«, sagte ich. »Ich heiße Leigh. Wollen wir uns die Hand geben?«
Er nickte schnell und stand auf, um auf uns zuzulaufen.
»Nun, man sieht deutlich, daß Troy schon im Alter von vier einen guten Geschmack entwickelt hat. Troy ist mein kleiner Bruder«, erklärte Tony, als ich Troys kleine Hand in meine nahm. Troy sah besorgt zu mir auf. »Ich vermute, man könnte sagen, daß ich ihm eher ein Vater als ein Bruder bin, denn unsere Eltern sind beide tot«, fügte Tony hinzu.
»Oh.« Ich sah auf diesen süßen kleinen Jungen hinunter, und er tat mir leid. Er wirkte so zart und so hilflos wie ein kleiner Vogel, der aus dem Nest gefallen ist und die Wärme und den Schutz seiner Mutter vermißt. In seinen Augen stand Sehnsucht, ein Schrei nach jemandem, der ihm Wärme und Liebe gab.
»Troy, darf ich dir Jillians Tochter Leigh vorstellen. Leigh, das ist Troy Langdon Tatterton«, sagte Tony und lächelte breit, denn Troy hatte meine Hand nicht losgelassen. Ich kniete mich hin, um ihm ins Gesicht zu sehen.
»Du willst auch mitkommen, wenn wir uns umsehen?« fragte ich, und er nickte begierig und streckte die Arme aus, um sich von mir hochheben zu lassen. Ich drückte ihn an mich und hob ihn hoch. Als ich aufblickte, sah ich, daß Tony Tatterton mich mit seinen durchdringenden blauen Augen anstarrte. Einen Moment lang trafen sich unsere Blicke, und mir war äußerst unbehaglich zumute, aber dann lachte er.
»Ein Frauenheld. Wußte ich es doch«, sagte Tony. »Dennoch müssen Sie etwas ganz Besonderes sein, Leigh. Normalerweise ist er bei Leuten, die er gerade erst kennengelernt hat, sehr schüchtern.«
Ich errötete und wandte eilig den Blick ab. Wenn überhaupt, dann bin ich hier die Schüchterne, dachte ich. Aber der kleine Troy wirkte so zart und empfindlich, daß ich nichts tun wollte, was seine Gefühle hätte verletzen können.
»Bei mir wird er schon nicht schüchtern sein. Oder, Troy?«
Er schüttelte den Kopf.
»Prima«, rief Tony. »Dann wollen wir jetzt das Haus besichtigen, und hinterher gehen wir ins Freie und sehen uns den Swimmingpool und die Pferde an. Nach dem Mittagessen werden wir alle einen Spaziergang zum Strand machen. Aber Leigh kann dich nicht ständig tragen, Troy. Dazu bist du jetzt zu groß und schwer.«
»Es ist schon gut«, sagte ich. »Ich bin sicher, daß Troy sowieso nicht mehr lange auf meinem Arm bleiben will.
Stimmt’s, Troy?« Er nickte und betrachtete mich genauer. Ich erkannte Furcht in seinen Augen, die Furcht, ich würde ihn fallen lassen und ihm dann keine weitere Beachtung schenken.
»Vielleicht kann Troy mir auch einiges zeigen und erzählen.
Kannst du das, Troy?« Er nickte. »Gut, wir sind soweit.«
Tony lachte wieder, und er und Mama gingen voraus.
Vielleicht war kein anderes Zimmer im ganzen Haus so eindrucksvoll wie das Eßzimmer. Es war so groß wie ein Bankettsaal, und darin stand der längste Tisch, den ich je gesehen hatte. Während wir uns dort aufhielten, kam der Koch aus der Küche, und Tony stellte ihn uns vor. Ich konnte sehen, daß Tony sehr stolz auf ihn war. Er hatte ihn auf einer Reise nach New Orleans entdeckt und als seinen persönlichen Chefkoch mitgebracht. Er hieß Ryse Williams und war ein sehr freundlicher und fröhlicher Schwarzer, der eine Sprechweise hatte, die seine Worte wie Musik klingen ließ. Er versprach, uns ein Mittagessen zuzubereiten, »etwas ganz Besonderes, was den Magen noch tagelang erfreut«.
Ich hatte das Gefühl, daß meine Arme schon ein paar Zentimeter länger geworden waren, und deshalb setzte ich Troy ab, bevor wir die marmorne Treppe hinaufstiegen. Er wollte mir unbedingt sein Zimmer zeigen. Sämtliche Schlafzimmer im oberen Stockwerk waren in Wirklichkeit Suiten, von denen jede ein eigenes Wohnzimmer hatte. Troys Wohnzimmer war derart mit Spielzeug angefüllt, daß es wie ein Spielwarengeschäft aussah.
»Hat Ihre Mutter Ihnen denn nichts von meinem
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