Dunkle Umarmung
so, als käme das Wasser gleich raus und würde mich ganz naß machen«, staunte ich und zog mein Ohr weg, als fürchtete ich mich wirklich. Er lachte.
»Es ist nicht wirklich da drinnen.« Er nahm die Muschel wieder und legte sie in seinen Eimer. Dann sah er die Limousine an. »Wohin fährst du, Leigh?«
»Ich muß für einige Zeit fort, Troy.« Ich nahm seine kleine Hand in meine und kauerte mich hin, um ihm in die Augen sehen zu können. »Und du wirst ein braver Junge sein und versuchen, dich auszuruhen und ordentlich zu essen, solange ich weg bin, ja?«
»Aber wann kommst du zurück?«
»So schnell nicht, Troy.«
»Wird es lange dauern?« Ich nickte. »Dann will ich mit dir kommen.«
»Das geht nicht, Troy. Du mußt hierbleiben, weil du hier gut versorgt wirst.«
»Aber wohin gehst du?« fragte er wieder, und Tränen traten in seine Augen.
»Ich besuche meine Großmutter.«
»Wie kommt es, daß du bisher nie bei ihr warst?« fragte er skeptisch, da sein kleiner Verstand schnell und gut funktionierte.
»Ich hatte bisher immer zuviel zu tun«, log ich.
»Kommst du in Wirklichkeit gar nicht mehr zurück, Leigh?«
fragte er leise.
»Doch, natürlich«, behauptete ich. Ich lächelte und drängte die dicken Tränen zurück, die in meine Augen schossen.
»Nein, du kommst nicht zurück«, sagte er und wich vor mir zurück. »Du verläßt mich und Farthy. Du kommst nicht zurück. Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Ich werde zurückkommen, Troy. Ich verspreche es dir.
Irgendwann werde ich wieder zu dir kommen.«
»Versprochen?«
»Hand aufs Herz. Komm, gib mir zum Abschied einen Kuß.
Bitte«, flehte ich ihn an. »Andernfalls werde ich eine schreckliche Reise haben.« Ich verzog das Gesicht und schnitt eine Grimasse, die besagte, daß ich jetzt schon ganz außer mir war.
Er erbarmte sich und legte seine kleinen Arme um meinen Hals. Ich gab ihm einen Kuß auf die Wange und drückte ihn fest an mich. Dann gab er mir einen Schmatz und wich zurück.
Ich stand auf, lächelte ihm zu und ging zum Wagen zurück.
»Leigh!« rief er. »Warte!«
Ich blieb an der Tür stehen. Er griff in seinen Eimer und holte die Schneckenmuschel heraus.
»Nimm sie mit«, bot er mir an.
»O nein, Troy. Die wirst du behalten.«
»Nein«, sagte er und schüttelte heftig den Kopf. »Nimm sie mit, dann wirst du mich nicht vergessen.«
»Ich kann dich ohnehin nicht vergessen, Troy. Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagte ich, doch er blieb beharrlich dort stehen und hielt mir die Schneckenmuschel hin. »Na gut. Ich danke dir.«
»Wenn du sie dir ans Ohr hältst, wirst du das Meer und mich hören«, versprach er und drehte sich um, um wieder zu seiner Krankenschwester zu laufen. Ich sah ihm noch einen Moment lang nach und stieg dann in den Wagen.
»Lassen Sie uns bitte losfahren, Miles«, sagte ich. »So schnell wie möglich.«
Er verzog das Gesicht und sah mich immer noch mit einem gewissen Argwohn an, doch dann fuhren wir los. Wir kamen durch das Haupttor, aber ich sah mich nicht um. Statt dessen hielt ich mir Troys Muschel ans Ohr und lauschte, und dabei hörte ich seinen leisen Ruf.
Er rief nach mir. »Leigh… Leigh…«
19. KAPITEL
EIN BESUCH IM ZIRKUS
Ich war noch nie allein verreist, aber ich ließ mir meine Ängste und Unsicherheiten nicht anmerken. Als wir am Bahnhof angekommen waren, holte Miles meinen Koffer aus dem Kofferraum der Limousine und wartete meine Anweisungen ab.
»Ich kann den Koffer jetzt selbst nehmen, Miles«, erklärte ich.
»O nein, Miß Leigh. Ich übergebe ihn dem Gepäckträger.
Wohin wollen Sie?«
»Es ist schon gut, Miles. Ich möchte von jetzt an ganz auf mich gestellt sein. Mir gefällt die Vorstellung, allein zu verreisen«, behauptete ich und lächelte ihn freundlich an, um meine Nervosität zu verbergen. Er zögerte einen Moment, ehe er meinen Koffer abstellte.
»Nun, dann wünsche ich Ihnen eine gute Reise, Miß Leigh«, sagte er.
»Danke, Miles.« Ich nahm schnell meinen Koffer und lief in den Bahnhof. Auf dem Weg blieb ich noch einmal stehen, um ihm zuzuwinken. Ob ich ihn wohl je wiedersehen würde? Er stand da und starrte hinter mir her, aber er folgte mir nicht.
Viele Leute eilten durch den Bahnhof, und es wurden Ansagen zu den verschiedenen Zügen und Zielorten gemacht.
Dieser ganze Rummel war aufregend, aber gleichzeitig auch erschreckend. Ich sah einen großen rothaarigen Polizisten an einem Zeitungsstand stehen. Er sah jung aus und hatte ein
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