Dunkle Umarmung
mich, daß es Ihnen bei uns gefallen hat.«
»Leigh«, sagte Tony und wandte sich an mich, »holen Sie sich keinen Sonnenbrand.« Dann wandte er sich an Mama.
»Jillian«, sagte er und nickte.
»Ich bringe Sie noch zum Ausgang«, erbot sie sich und folgte ihm.
Daddy sah ihnen mit kalten Augen hinterher. Instinktiv streckte ich meine Hand über den Tisch und legte sie auf seine.
Er lächelte mich an, als wollte er sagen: »Schon gut.« Aber ich konnte nichts dagegen tun, daß mein Herz in seinem unheilvollen Warnen heftig schlug. Wie ein alter Seefahrer spürte ich einen drohenden Sturm am Horizont aufziehen.
4. KAPITEL
STÜRMISCHE ZEITEN
Vor etwas mehr als einem Jahr hatte Mama beschlossen, wenn Daddy uns auf seine Kreuzfahrten mitnehmen wollte, müßte er ihr gestatten, die Suiten, die wir auf den Schiffen belegten, neu einzurichten. Sie gestaltete die Suiten auf nur zwei Schiffen um, ehe sie das Interesse daran verlor, aber eines der beiden war natürlich die Jillian. In einer ihrer Zeitschriften hatte Mama auf einer Doppelseite die Wohnungseinrichtung einer Berühmtheit aus New York gesehen, und sie hatte beschlossen, ihre Schiffssuite nach diesem Vorbild zu gestalten. Unsere Suite war in hellen Farben gehalten, in unauffälligen Beigetönen, die ins Gelb und ins Grau gingen, und dazu kamen die Möbel aus gebleichten hellen Hölzern, und all das bildete den perfekten Hintergrund für Mamas kühle blonde Schönheit.
Der Dampfer war ein schwimmendes Seebad. Auf einer Ebene gab es alle Arten von Geschäften, darunter auch Schönheitssalons und Friseurläden, Drogerien und Boutiquen, in denen die neueste Mode aus aller Herren Länder ausgestellt war. Für die Gäste standen alle erdenklichen Beschäftigungen auf dem Programm, und das Angebot umfaßte auch Tanzunterricht, Gymnastikkurse, Kunstausstellungen und Vorträge, Teeveranstaltungen, endlose Mahlzeiten, sportliche Wettkämpfe, Spielrunden und natürlich, als wir erst in ein warmes Klima kamen, das Schwimmen in einem der drei Pools der Jillian. Abends standen Tanz und Unterhaltung durch Sänger und Komiker und sogar Erstaufführungen von Kinofilmen auf dem Programm.
Mama schlief jeden Morgen lange, und deshalb frühstückten Daddy und ich meistens ohne sie. Wir nahmen die Mahlzeiten immer mit dem Kapitän zusammen ein oder, wenn er nicht verfügbar war, mit dem ersten Offizier und weiteren Gästen.
An manchen Tagen kam Mama nicht vor dem frühen Nachmittag aus ihrer Suite und ließ sich das Frühstück ans Bett bringen. Normalerweise bestellte sie lediglich ein kleines Glas Saft, ein pochiertes Ei und eine einzige Scheibe Toast.
Sie ging nie lange in die Sonne, und sie teilte sich die Zeit genau so ein, daß sie nur ein wenig Farbe im Gesicht bekam, mehr nicht. Irgendwo hatte sie gelesen, daß die Sonne die Faltenbildung beschleunigte, und Mama grauste vor nichts mehr als vor der Möglichkeit, Fältchen könnten sich bei ihr zeigen. Auf ihrem Toilettentisch standen alle Hautcremes und Körperlotionen, die es nur irgend gab, aber insbesondere die, die ewige Jugend versprachen. Den größten Teil des Vormittags verbrachte sie damit, sich eine Creme nach der anderen in die Haut zu massieren, als Vorbereitung für ihr Make-up. Sie war oft in der Sauna und unterzog sich einmal täglich einer Körpermassage und einmal jede Woche einer Gesichtsmassage.
Von dem Tag an, an dem wir aus dem Hafen von Boston ausgelaufen waren, klagte Mama unablässig über die verheerende Wirkung der salzigen Meerluft auf ihr Haar. Sie mußte fast täglich in den Schönheitssalon gehen, damit ihr Haar nicht »schlappmachte«. Sie sagte, die Seeluft ließe ihr weiches Haar spröde werden und ihre Haut rissig, da ihr Gesicht zu empfindlich sei. Abends war sie selten an Deck, selbst dann nicht, als wir in ein wärmeres Klima gekommen waren und die Abende lau waren. Ich fand kaum einen Anblick so schön wie den des stillen Meeres in einer warmen Nacht, wenn der Mondschein auf das Wasser fiel. Die Wellen glitten unter einem unverhangenen Nachthimmel so berauschend auf und ab, daß es mir den Atem verschlug. Immer wieder versuchte ich, Mama dazu zu bewegen, daß sie an Deck kam und sich das mit mir ansah, doch sie meinte, wenn sie wollte, könne sie es auch durch die Fenster sehen.
Daddy hatte auf dieser Reise zwar mehr zu tun als sonst, weil es eine Jungfernfahrt war, bei der die Route einer neueingeführten Kreuzfahrt erst noch festgelegt wurde, doch er gab sich alle Mühe,
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