Dunkle Umarmung
geworden, daß sie jede Weiblichkeit eingebüßt haben.
Kein Wunder, daß ihre Männer mir wie räudige Hunde nachlaufen.« Ihr Gesicht wurde weicher, bis sie wieder die Mutter war, die ich kannte. Sie wandte ihren Blick wieder Tony zu, und er drehte sich zu ihr um. Sie schienen sich sogar über diesen riesigen Raum hinweg verständigen zu können, denn sie wandte sich wieder zu mir um und sagte, wir würden uns später wieder sehen, ehe sie davoneilte, um sich ihm anzuschließen.
Ich beobachtete sie eine Zeitlang. Daddy kam mit ein paar Leuten auf mich zu, die er mir vorstellen wollte, und ich blieb bei ihm, bis er zu seiner nächsten Besprechung ging. Ich stand ganz allein da und fühlte mich ein wenig verloren, als mir jemand auf die Schulter tippte und ich in Tonys blaue Augen sah.
»Es ist Zeit für unseren Tanz«, sagte er und breitete die Arme aus.
»Oh, aber ich bin nicht gut in Gesellschaftstänzen«, gestand ich kläglich, als er mich in seine kräftigen Arme zog und wir auf die Tanzfläche wirbelten.
»Unsinn. Vertrauen Sie sich einfach meiner Führung an.«
Mein Blick fiel auf Mama, die mit ein paar Leuten etwas abseits stand und lächelte, aber ich war so nervös und steif, daß ich sicher war, eine alberne Figur auf der Tanzfläche abzugeben.
»Es freut mich, daß Sie sich entschlossen haben, heute abend die Kette zu tragen«, sagte Tony. »Sie steht Ihnen gut.«
»Danke.« Mein Herz pochte. Ich war sicher, daß alle mich ansahen und lachten, weil ich mich so linkisch bewegte. Es fiel mir schwer, mich auf der Tanzfläche zu entspannen, wenn all diese elegant gekleideten Erwachsenen um mich herumstanden. Es war etwas ganz anderes als eine Tanzveranstaltung in der Schule.
»Es ist eine wunderbare Party«, sagte er. »Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es für Sie gewesen sein muß, mit alledem aufzuwachsen.«
»Es ist ein hartes Geschäft«, erwiderte ich und dachte an meinen Daddy. »Vor allem derzeit.«
»Ach so, ich verstehe.« Er lächelte, als wolle er mich aufheitern. »Sie spielen wohl mit dem Gedanken, selbst Geschäftsfrau zu werden?«
»Es gibt keinen Grund, aus dem eine Frau das nicht können sollte.« Ich wußte, daß ich unhöflich war, aber ich konnte mich nicht zurückhalten.
»Nein, absolut nicht.« Seine Augen strahlten, und dann lachte er. Ich war froh, als die Musik verstummte und er sich verbeugte und bei mir bedankte. Er verschwand in der Menge und ließ mich stehen. Ich zog mich in einen Winkel des Ballsaals zurück. Kurz darauf trat die Besetzung von The Pajama Game auf. Sie waren so großartig wie auf der Bühne.
Nach der Show ging eine große Schar von Besuchern. Die Schiffsbesatzung begann, die ersten Tische fortzutragen. Ich stellte mich zu Daddy, der mit dem Kapitän und dem ersten Offizier sprach, und in dem Moment kündigte die Kapelle ihre letzte Nummer an, einen Walzer.
Plötzlich sah ich, wie Daddys Augen schmaler wurden und seine Lippen sich so fest zusammenpreßten, daß sie weiß schimmerten. Als ich mich umdrehte, merkte ich, was seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Mama und Tony waren praktisch das einzige Paar, das noch tanzte, und sie tanzten so graziös und so eng umschlungen, daß die Blicke der übrigen Gäste und Besucher auf sie gerichtet waren.
Daddy tat mir leid, weil Mama und Tony zusammen ein so schönes Bild abgaben. Mama schien in Tonys Armen aufzublühen. Nie hatte sie großartiger ausgesehen. Bis zu diesem Moment war mir nicht aufgefallen, wie jung sie im Vergleich zu Daddy aussah. Der Altersunterschied zwischen ihnen war mir nie so gewaltig erschienen wie jetzt.
Daddy schien das auch zu spüren, denn er wirkte so müde, resigniert und niedergeschlagen, als sei er gerade noch einmal um weitere zehn Jahre gealtert. Oh, welche Traurigkeit auf Daddys schönem Gesicht stand! Ihm fiel auf, daß ich ihn musterte, und er zwang sich zu einem Lächeln. Dann beugte er sich zu mir und schüttelte den Kopf.
»Auf die eine oder andere Weise gelingt es deiner Mutter immer, der Mittelpunkt jedes Festes zu sein, nicht wahr, Leigh?«
Ich nickte. Es klang nicht wütend; es klang melancholisch.
Ich war erleichtert, als die Musik endlich aufhörte und Mama und Tony ihren Tanz beendeten. Tony brachte Mama an unseren Tisch, um sich zu verabschieden.
»Es war eine wunderbare Party«, sagte er. »Viel Glück und alles Gute auf Ihrer Jungfernfahrt.«
»Danke«, erwiderte Daddy, und seine Stimme klang weder bitter noch freundlich. »Es freut
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