Dunkle Umarmung
Reparaturen stillgelegt werden, doch die anderen konnten für den erforderlichen Zeitraum seine Funktion übernehmen. Ich hörte genau zu, als Daddy dem Cheftechniker Fragen stellte, und ich folgte ihm durch den Maschinenraum, um die Probleme besser verstehen zu können. Ich lauschte so gebannt den Diskussionen, daß ich gar nicht merkte, daß ich mich an ein sehr schmutziges Geländer gelehnt hatte. Wir trafen Mama im Korridor vor unserer Suite. Sie kam gerade aus der Kabine, um zu frühstücken, und zum ersten Mal seit unserer Abreise aus Boston machte sie einen frischen und ausgelassenen Eindruck.
Doch in dem Moment, in dem ihr Blick auf mich fiel, blieb sie erstarrt im Korridor stehen und schrie so laut und gehässig, daß ich erschrak.
»Wo bist du gewesen? Sieh dir doch nur die Motorenschmiere auf deinen Armen und auf deinen Kleidern an!« Sie zeigte darauf, und als ich an mir heruntersah, sah ich auf meinen Shorts zwei dicke Flecken Maschinenöl. Sie blickte anklagend zu Daddy auf: »Wohin mußtest du sie jetzt schon wieder mitnehmen, du Idiot?«
Mir raste ein Schauer über den Rücken. Immer wieder sagte ich mir: in Ordnung. Schon in Ordnung.
Daddys Gesicht lief leuchtend rot an. Nie zuvor hatte ich gehört, daß sie ihm ein Schimpfwort an den Kopf geworfen hatte, und ich wußte, daß es ihn in besondere Verlegenheit brachte, weil sie es ausgerechnet vor mir getan hatte. Er riß den Kopf zurück, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpaßt, doch seine Reaktion konnte sie nicht bremsen.
»Diesen Anzug habe ich in einem der teuersten Kaufhäuser von Boston für sie ausgesucht, weil ich wollte, daß sie wie eine modische junge Dame aussieht und nicht wie ein dreckiger Mechaniker. Immer wieder sabotierst du meine Versuche, ihr die feineren Dinge des Lebens beizubringen. Du beharrst auf deinem Versuch, einen Wildfang aus ihr zu machen«, klagte sie ihn an.
»Jetzt halt mal kurz die Luft an, Jillian…«
»Komm mir jetzt bloß nicht mit so was – Leigh, geh in dein Zimmer und wasch dich. Ich werde dem Mädchen sagen, daß es deinen Anzug augenblicklich zur Reinigung bringt, damit wir sehen, ob sich noch etwas retten läßt.«
»Mama, es war nicht Daddys Schuld. Ich habe einfach nicht aufgepaßt. Ich…«
»Natürlich war es seine Schuld«, beharrte sie und funkelte ihn wütend an. »Wenn er dich nicht dorthin mitgenommen hätte, und das hat er getan, dann wäre es gar nicht erst dazu gekommen.«
»Aber ich wollte doch mitgehen, Mama. Ich wollte die Motoren sehen und…«
»Du wolltest die Motoren sehen?« Sie verdrehte die Augen.
»Sieh dir nur an, was du aus ihr machst«, rief sie und streckte mir ihre Handflächen entgegen, als hätte ich mich da, wo ich stand, in irgendein widerliches Geschöpf verwandelt. Daddy schloß nachsichtig die Augen.
»Es schadet nichts, wenn sie darüber Bescheid weiß, wie das Schiff funktioniert und was kaputtgehen kann. Es wird noch einmal ein Tag kommen…«
»Es wird noch einmal ein Tag kommen, an dem all das sein Ende findet«, fauchte Mama. Sie zerrte mich zu meiner Suite und ließ Daddy einfach stehen. Er tat mir schrecklich leid, aber Mama war aufgebracht und schnatterte unerbittlich weiter vor sich hin, daß er meine Chancen ruinierte, eine Debütantin und eine begehrenswerte junge Frau zu werden. Sie sagte, er
»ersticke meine Weiblichkeit«.
Ich versuchte, ihn zu verteidigen, aber sie hörte nicht auf mich. Ich streifte eilig den Anzug ab und zog mir etwas anderes an, während sie fortging, um die Shorts und die Bluse mit dem Maschinenöl von einem der Mädchen wegbringen zu lassen. Als ich aus meiner Suite kam, war Daddy schon fort.
Für den Rest des Tages ging es mir schrecklich schlecht, weil ich glaubte, es sei alles nur meine Schuld gewesen. Oh, warum hatte ich bloß nicht besser aufgepaßt? Warum interessierte ich mich nicht so sehr für meine Kleidung und mein Aussehen, wie sich Mama darum sorgte? Meine zerbrechliche Welt wurde rundum von Sprüngen überzogen, aber ich versuchte verzweifelt, sie zusammenzuhalten.
Ich konnte mich nicht erinnern, schon einmal erlebt zu haben, daß Mama Daddy derart angeschrien hatte, aber auch nicht, daß Daddy so verlegen und wütend gewesen war. Diese Kreuzfahrt, die dazu gedacht war, Mama glücklich zu machen und Daddy aufzuheitern, indem sie sich günstig auf seine Geschäfte auswirkte, erwies sich für uns alle als eine Katastrophe.
Am Abend wurde alles noch schlimmer, als Mama schrecklich seekrank wurde. Sie kam
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