Dunkle Umarmung
nicht nur zum Abendessen nicht aus ihrer Kabine, sondern sie erschien auch zu keiner der abendlichen Veranstaltungen, auch nicht zu dem Ball, obwohl Bälle eigentlich zu den wenigen Dingen gehörten, die ihr Spaß machten. Jedesmal, wenn ich in ihre Suite kam, fand ich sie nur ächzend und stöhnend vor.
»Warum habe ich bloß eingewilligt? Warum bin ich bloß auf dieses Schiff gegangen? Ich wünschte, ich könnte mich in Luft auflösen«, jammerte sie. Es gab nichts, womit ich ihr hätte helfen können. Der Schiffsarzt wurde zweimal gerufen. Er gab ihr ein Medikament, doch am nächsten Tag ging es ihr auch nicht viel besser, und wieder einmal wollte sie nicht aufstehen.
Ich ging hinunter, um ihr etwas vorzulesen und ihr Gesellschaft zu leisten. Sie war äußerst niedergeschlagen, weil sie so blaß und kränklich aussah, daß selbst die größten Mengen an Schminke nichts dagegen ausrichten konnten.
»Ich will noch nicht einmal von den Dienstboten gesehen werden«, rief sie. »Ich werde Wochen brauchen, um mich davon wieder zu erholen«, behauptete sie. »Wochen!« Sie zog an ihren Haarsträhnen. »Sieh dir nur an, was mit mir geschieht.
Sieh dir das an!«
»Aber, Mama, so ist es dir doch noch nie gegangen. Warum wirst du auf dieser Reise seekrank?« fragte ich. Sie sah mich mit einem scharfen Blick an und kniff die Augen einen Moment zusammen. Dann ließ sie sich auf ihr dickes, flauschiges Kissen zurücksinken, verschränkte die Arme unter dem Busen und schmollte.
»Woher soll ich das wissen? Bisher habe ich einfach nur Glück gehabt.« Sie fiel jetzt über mich her. »Ich nehme an, du kannst dich nicht mehr an deine erste Atlantiküberfahrt erinnern, oder?« Ihr Tonfall war beißend, als hätte ich ihr vorgeworfen, sie stellte sich nur krank, und jetzt wollte sie mich dafür bestrafen. »Die beiden ersten Tage war dir so schlecht, daß ich dachte, wir müßten mit dem ganzen Dampfer umkehren und nach Boston zurückfahren. Dann warst du plötzlich, wie dein Vater es nennen würde, seefest. Darüber war er so glücklich, als sei es ein Verdienst, wenn jemand wie ein o-beiniger Seemann rumläuft.«
Sie drehte sich zur Wand um, um Atem zu holen. Ihr Gesicht war gerötet, und sie steigerte sich immer mehr in ihre Wut hinein. Als sie mich wieder ansah, stand ein sehr häßlicher, aber entschlossener Ausdruck auf ihrem Gesicht.
»Also, ich wollte nie seefest werden und diesen schrecklichen Gang kriegen«, sagte sie gehässig. »Oh, ich weiß auch nicht, warum ich nicht schon vor Jahren darauf bestanden habe, daß Cleave aus dieser blöden Firma aussteigt. Wir hätten ein respektables Geschäft in der Stadt aufziehen können…
vielleicht eine Kaufhauskette, so etwas, wie es Tony Tatterton hat. Dann ist man dem Wetter und dem launischen Meer nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.«
»Aber Daddy hat immer mit Schiffen zu tun gehabt. Das ist das einzige, womit er sich wirklich auskennt«, wandte ich mit gesenkter, eingeschüchterter Stimme ein.
»Unsinn. Ein Mann lernt, was er zu lernen hat, wenn er ein Mann ist. Es ist nur einfach leichter für deinen Vater gewesen, das zu bleiben, was er ist. Er ist faul, das ist alles.«
»Faul? Daddy?«
»Ja«, beharrte sie. »Nur weil er an einer Sache, die ihm Spaß macht, hart arbeitet, heißt das noch lange nicht, daß er nicht faul ist. Und er ist nicht geschickt, wenn es um Investitionen geht. Wir müßten doppelt, nein, dreimal so reich sein, wie wir es sind.«
Es schockierte mich, wie sie über Daddy sprach. Sie klagte oft über dieses oder jenes, doch ihre Klagen waren nie so vehement gewesen, nie so verletzend. Sie war so wütend und sah so haßerfüllt aus, daß mein Herz für Daddy schlug. Ich war froh, daß er nicht dabei war und sich all das anhören mußte, aber gleichzeitig fragte ich mich, ob sie ihm solche Dinge nicht schon ins Gesicht gesagt hatte. Vielleicht war das auch einer der Gründe dafür, daß er so oft betrübt war.
»Aber findest du es nicht einfach begeisternd, all das zu haben, Mama? Die großen Schiffe, die schicken Kreuzfahrten, all diese wohlhabenden Passagiere und…«
»Begeisternd? Ich kann es nicht ausstehen!« schrie sie. »Gott sei Dank muß ich nicht allzu oft an Bord eines Schiffes sein.
Wenn man eine dieser längeren Kreuzfahrten mitmacht, verpaßt man sämtliche gesellschaftlichen Ereignisse in Boston.
Ich bin der Meinung, daß die Leute, die die Flugreisen für sich entdeckt haben, absolut richtigliegen. Man kommt
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