Dunkle Umarmung
Morgen an Bord zu hören – Leute unterhielten sich laut und aufgeregt auf dem Weg zum Frühstück, Gepäckträger nahmen Anweisungen entgegen, Türen wurden geschlossen, Kinder lachten und rannten durch die Gänge. Um uns herum herrschten Aufregung und Tumult, und dadurch wurde das Schweigen, das zwischen uns herrschte, nur um so beunruhigender. Ich spürte, wie das Blut in meinen Adern vor Kälte stockte, und ich war nicht mehr aus Fleisch und Blut, sondern eine steife Eisprinzessin.
»Du erinnerst dich sicher noch an dieses kurze Gespräch, das wir beide miteinander geführt haben, kurz nachdem deine Mutter uns in Jamaika verlassen hat. Damals habe ich dir doch gesagt, sie wolle sich in Ruhe ein paar Gedanken machen.«
»Ja?« Meine Stimme klang so zaghaft, so ängstlich.
»Ich habe dir gesagt, daß sie enttäuscht von mir ist, enttäuscht davon, wie sich die Dinge zwischen uns entwickelt haben.« Er schluckte schwer. Ich nickte, weil ich ihn dazu bringen wollte, weiterzureden. »Nun, vor ein paar Tagen hat mich an Bord ein Telegramm erreicht, Leigh. Es kam von deiner Mutter, und sie hat mir mitgeteilt, daß sie sich für eine ihrer Möglichkeiten entschieden hat.«
»Was für Möglichkeiten? Was hat sie getan?« brachte ich gequält heraus.
»Sie ist von Miami nach Mexiko geflogen, und nicht nach Boston, und dort hat sie die Scheidung eingereicht«, sagte er so eilig, wie ein Arzt einem Patienten eine schlechte Nachricht beigebracht hätte.
Seine Worte hingen in der Luft, als seien sie dort zu Eis erstarrt. Mein Herz flatterte unter meiner Brust und trommelte dann rasend gegen meine Rippen.
»Eine Scheidung?« Es war ein anrüchiges, bedrohliches Wort. Ich hatte über die Scheidungen von Filmstars und anderen Künstlern gelesen. Bei ihnen schien das der normale Lauf der Dinge zu sein, fast etwas, was man von Anfang an erwartete; aber ich hatte keine Freundinnen, deren Eltern geschieden waren, und Mitschülerinnen mit geschiedenen Eltern wurden irgendwie als Ausgestoßene angesehen.
»Im Grunde genommen«, seufzte Daddy, »empfinde ich fast eine gewisse Erleichterung darüber. Seit Monaten warte ich jetzt schon darauf, daß mein Schicksal besiegelt wird. Kaum ein Tag ist vergangen, an dem deine Mutter mir nicht gesagt hätte, wie unglücklich sie mit mir ist, oder an dem nicht bittere und böse Worte zwischen uns gefallen wären. Ich habe mein Bestes getan, um all das von dir fernzuhalten, und das hat deine Mutter, glaube ich, auch getan.
Ich habe mich noch tiefer in meine Arbeit versenkt, um nicht ständig daran denken zu müssen, was jetzt wohl zu Hause geschieht. Auf gewisse Weise war es fast ein Segen, daß es zu all diesen geschäftlichen und finanziellen Krisen gekommen ist. Damit konnte ich mich von meinen Eheproblemen ablenken.« Er zwang sich gewaltsam zu einem Lächeln, doch es war ein so trauriges, mattes und klägliches Lächeln, das man nur einen Moment lang durchhält. Um seinetwillen drängte ich meine eigenen Gefühle zurück und legte ihnen einen dicken Riegel vor, um überhaupt sprechen zu können.
»Ist Mama noch in Mexiko?«
»Nein, sie ist wieder in Boston, zu Hause. Sie hat mir das Telegramm aus Boston geschickt. Aber ich habe ihr versprochen, ihre Entscheidung zu akzeptieren, ganz gleich, was sie beschließt. Es ist zwecklos, jemanden zwingen zu wollen, daß er bei einem bleibt, wenn er es nicht will.«
»Aber warum will sie nicht bei dir bleiben?« fragte ich. »Wie kann sie den Wunsch haben, dich nach all den Jahren zu verlassen?«
Was ich wirklich wissen wollte, war, wie eine Liebe, die so großartig, so romantisch begonnen hatte, erlöschen konnte.
Wie konnten sich zwei Menschen einst so gewiß sein und es sich dann anders überlegen? War es das, was Daddy eigentlich gemeint hatte, als er mir gesagt hatte, daß die Liebe blind macht?
Aber andererseits, woher konnte man wirklich wissen, daß man verliebt war? Wenn Gefühle einen trügen konnten und Worte wie Seifenblasen waren, die in der Erinnerung platzten und sich auflösten, was konnte man dann noch als Wahrheit ansehen? Eine Frau verspricht einem Mann, bei ihm zu bleiben, und er verspricht ihr, bei ihr zu bleiben, bis daß der Tod sie scheidet, und dann… dann scheidet einen etwas anderes. Was ist ein Versprechen dann noch wert, selbst ein Versprechen, das mit einem Kuß besiegelt wird?
»Deine Mutter ist noch eine junge Frau. Sie glaubt, sie hätte noch eine Chance, ein glücklicheres Leben zu führen, und ich will
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