Dunkle Umarmung
verlieh, es würde ein Ferienparadies von der Sorte werden, die nicht nur den ganz Reichen und Berühmten vorbehalten war, sondern auch für den Mittelstand, dachte ich, daß es gut war, daß Mama das nicht gehört hatte.
Ich sah, daß Clara und Melanie nicht zum Abendessen gekommen waren. Als ich mich nach ihnen erkundigte, sagte Mrs. Spenser, sie seien in ihrer Suite und litten an schlimmen Sonnenbränden. Nach dem Abendessen begleiteten mich Raymond und Fulton zur Karibischen Show, die sich als eine der aufregendsten Shows erwies, die ich je auf einer von Daddys Luxuskreuzfahrten gesehen hatte. Einheimische Tänzer in farbenprächtigen Trachten und mit Strohhüten wirbelten herum, Calypsomusiker spielten rhythmische Melodien, und Folkloregruppen sangen über die Liebe auf den Inseln.
Nach der Unterhaltungseinlage wurden die Gäste aufgefordert, sich am Limbo zu probieren. Sie mußten tanzen und sich zurücklehnen und unter dieser Bambusstange mit Tanzschritten durchkommen, ohne sie zu berühren – sonst schieden sie aus. Die Stange wurde immer tiefer gesenkt, bis kaum noch jemand im Spiel war. An dem Punkt bog ein Tänzer von der Insel seinen Körper von den Knien an soweit zurück, daß er nur wenige Zentimeter über dem Boden war und sich mit der Geschmeidigkeit einer Schlange unter dem Stab hindurch bewegte. Das Publikum war hingerissen.
Ich verbrachte den ganzen nächsten Tag mit Fulton und Raymond. Sie brachten mir Schach bei, und wir gingen wieder an den Strand. Am kühleren Spätnachmittag machten wir Einkäufe auf den Straßenmärkten, und ich fand einen wunderschönen handbemalten Seidenschal, von dem ich wußte, daß er Mama begeistern würde. Daddy kaufte ich einen verzierten Spazierstock mit einem geschnitzten Fisch darauf.
Fulton und Raymond wollten mit mir in einem Boot mit Glasboden eine Hafenrundfahrt machen, aber ich hatte es eilig, wieder an Bord zu kommen und mich für das Abendessen umzuziehen, weil das der Abend war, an dem Daddy mit mir in ein jamaikanisches Restaurant gehen wollte. Ich freute mich schon darauf, daß wir beide gemeinsam einen wunderschönen Abend verbringen und uns unterhalten würden. Ich zog ein paar Stücke von dem Modeschmuck an, den Mama mir dagelassen hatte, und dann setzte ich mich vor meinen Spiegel und bürstete mir das Haar, wie sie es immer tat, und dabei zählte ich die hundert Bürstenstriche mit. Ich trug den Lippenstift genauso auf, wie sie es mir gezeigt hatte, und sprühte mich mit Jasminparfum ein. Ich zog eine leuchtendblaue Seidenbluse mit einem Spitzenkragen und einen dazu passenden Faltenrock an. Um älter und eleganter auszusehen, knöpfte ich die beiden obersten Knöpfe meiner Bluse auf.
Mein Gesicht war gleichmäßig gebräunt, und die silbernen Ohrringe und die leuchtendblaue Bluse betonten meine Bräune noch. Ich fand, daß ich sensationell aussah, und ich hoffte, daß Daddy meine Meinung teilte. Ältere Jungen mochten mich und empfanden mich als unterhaltsam, interessant und reif. Ich trug Mamas Schmuck und ihr Parfüm, und ich gestand mir selbst zum ersten Mal ein, daß wir auffallende Ähnlichkeit miteinander hatten. Vielleicht wurde ich später doch einmal schön. War es eitel, so etwas zu denken? Unwillkürlich bewunderte ich mein eigenes Spiegelbild, obwohl ich wußte, daß es sich nicht schickte, eingebildet zu sein. Aber es war niemand da, und niemand würde je davon erfahren, dachte ich.
Ich stand da und nahm verschiedene Posen ein. Ich sog meine Wangen ein, zog die Schultern hoch und streckte meine Brüste heraus, bis sie größer wirkten. Ich stellte mir vor, daß ein gutaussehender junger Mann mich über die Tanzfläche hinweg ansah. Ob ich ihn anlächeln und ihn ermutigen sollte? Mama hätte es wahrscheinlich getan, dachte ich, obwohl es Daddy nicht gefallen hätte. Ich drehte mich langsam um und lächelte.
Dann lachte ich über mich selbst. Aber es machte Spaß, albern zu sein.
Ich holte tief Atem und ging hinaus, um mich mit dem Mann zu treffen, mit dem ich verabredet war – Daddy.
Er erwartete mich an Deck. Plötzlich war ich ganz nervös, weil ich nicht wußte, ob ich ihm gefallen würde, aber er warf einen Blick auf mich, lächelte strahlend, und seine Augen leuchteten genauso, wie sie es oft taten, wenn Mama schick herausgeputzt vor ihn trat, ehe sie zu einer Gala oder in ein feines Restaurant gingen.
»Sehe ich einigermaßen gut aus?« Ich konnte Mama fast hinter meinem Rücken flüstern hören: »Es ist völlig
Weitere Kostenlose Bücher