Dunkle Umarmung
richtig, Komplimente zu fordern, Leigh. Eine Frau sollte immer ein wenig unsicher wirken, ganz gleich, wie selbstsicher sie in Wirklichkeit ist.«
»Du siehst phantastisch aus, Prinzessin.« Er wandte sich nach rechts. »Wir sind heute abend mit dem hübschesten Mädchen von Jamaika verabredet«, erklärte er Captain Wilshaw.
»Das steht außer Frage«, meinte Captain Wilshaw und trat vor. Ich war so gespannt auf Daddys Reaktion gewesen, daß ich den Kapitän, der sich ein wenig im Abseits gehalten hatte, gar nicht bemerkt hatte.
Ich konnte meine Verwirrung nicht verbergen, aber auch nicht meine Enttäuschung, als Daddy hinzufügte: »Der Kapitän hat mir das beste Restaurant von Jamaika empfohlen, und er hat sich bereit erklärt, mit uns zusammen dort zu Abend zu essen, Leigh. Ist das nicht nett von ihm?«
»Ein gemeinsames Abendessen? Ja, sicher.«
Aber, Daddy, dachte ich, was ist aus unserem Rendezvous zu zweit geworden? Verstehst du denn nicht, was in meinem Innersten vorgeht? Hast du denn nicht bemerkt, daß ich diesen Abend mit dir, und zwar mit dir allein, brauchte? Oh, es gab so viele private und ganz persönliche Dinge, die ich ihm erzählen mußte. Ich wollte ihm von Fulton und Raymond und von den Tatterton Toys erzählen und ihm zeigen, was ich für Mama gekauft hatte. Ich wollte ihm sagen, daß ich vorhatte, mich künftig mehr anzustrengen, um ihr Mißfallen nicht zu erregen, aber auch, daß ich mich bemühen würde, keine Dinge mehr zu tun, die zu Streit zwischen ihnen beiden führten.
Aber statt dessen redeten Daddy und Captain Wilshaw über die Kreuzfahrt. Sie sprachen alle Einzelheiten durch und überlegten sich, was sie ändern mußten, was sich verbessern ließ oder worauf man mehr Wert legen sollte. Ich lauschte höflich. Normalerweise hätte es mich interessiert, aber an jenem Abend hatte ich mir nur gewünscht, von meinem Vater wie eine Erwachsene behandelt zu werden.
Nach dem Abendessen mußten wir augenblicklich auf das Schiff zurückkehren, da es der letzte Abend in Jamaika war und eine Show und ein Ball geplant waren. Ich sagte Daddy, ich müsse mich ein Weilchen zurückziehen und würde mich ihm dann später wieder anschließen.
»Genau wie deine Mutter! Du willst dir wohl die Nase pudern, stimmt’s, Prinzessin?« fragte er. Er zwinkerte dem Kapitän zu.
»Ja, Daddy«, sagte ich und senkte die Lider. Ich spürte zwei kleine Tränen in den Augenwinkeln.
»Ist alles in Ordnung mit dir? Das Essen war dir doch nicht zu scharf, oder? Du bist doch nicht etwa übermüdet?« fragte er, und seine Stimme drückte väterliche Sorge aus.
»Nein, Daddy.« Ich mußte mir auf die Unterlippe beißen, um nicht zu weinen oder zu schreien. Warum redete er bloß so mit mir, als sei ich wieder ein kleines Mädchen? Warum merkte er nicht, was mir wirklich fehlte?
Als ich meine Suite betrat, fühlte ich mich so allein und im Stich gelassen, daß ich nichts anderes mehr tun konnte, als mich auf das Bett zu setzen und zu weinen. Mein Blick fiel auf mein Spiegelbild. Ich fand, daß ich einen jämmerlichen und lachhaften Anblick bot. Ich sah aus wie ein kleines Mädchen, das versuchte, seine Mutter zu imitieren.
Nie hatte ich so sehr das Gefühl gehabt, Mama zu brauchen.
Wie schrecklich es für echte Waisenkinder sein mußte, dachte ich, nie jemanden zu haben, dem man sich anvertrauen kann und der einen liebt und einen nicht auslacht, wenn man ihm seine tiefsten und innigsten Gefühle beschreibt. Heute nacht kam ich mir wie eine Waise vor, die auf dem Meer ausgesetzt worden war und ziellos dahintrieb.
Ich wischte mir das tränenverschmierte Gesicht ab und sah mich im Spiegel an. Vielleicht würden Daddy und ich unser privates Gespräch in den allernächsten Tagen führen, auf der Heimfahrt. Vielleicht fiel es ihm schwer, über diese Dinge zu reden, und er suchte bewußt nach Mitteln, einem Gespräch aus dem Weg zu gehen. Auf ihm lastete ohnehin schon so viel Verantwortung und Kummer, und ich fehlte ihm gerade noch als zusätzliche Belastung. Ich mußte mehr Verständnis für ihn aufbringen. Ich richtete mich auf.
»Niemand macht sich etwas aus Menschen, die armselig und schwach sind«, hatte Mama einmal zu mir gesagt. »Mitleid ist das erniedrigendste aller Gefühle. Selbst, wenn du außer dir bist, laß niemanden in den Genuß kommen, es zu merken. Das gibt anderen das Gefühl, dir überlegen zu sein.«
»Wird gemacht, Mama«, flüsterte ich, als stünde sie neben mir. »Ich werde tun, was ich tun
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