Dunkle Umarmung
Dunkelheit war – ein einsames Lichtlein vor der samtschwarzen Nacht, wie ein einziger Stern am Abendhimmel.
7. KAPITEL
VERIRRT
Zwei Wochen nach dem Erntedankfest war ich wieder auf dem Weg nach Farthy, diesmal, um die Hochzeitsfeierlichkeiten zu proben. Zwei Tage vorher hatte es an der ganzen Küste von New England heftig geschneit. Die Landschaft, durch die wir auf dem Weg nach Farthy fuhren, lag unter einer weißen Decke da, die in der Morgensonne funkelte und frisch und rein aussah. Als wir in die bewaldete Gegend kurz vor dem Landsitz kamen, sah ich, daß viele Bäume ihre Form verändert hatten und sich unter dem Gewicht des Schnees wie alte Männer beugten oder sich starr gegen den blauen Himmel absetzten, während ihre Äste eher wie Knochen aussahen, an denen Eis hing. Die Eiszapfen sahen aus wie riesige Tränen, die in der Luft gefroren waren.
Mama hatte kein allzu großes Interesse an der Natur. Sie war mit ihrer Hochzeit beschäftigt und plante jeden einzelnen Moment, jede kleinste Kleinigkeit, so genau, als sollte dieser Tag wirklich zum bedeutendsten gesellschaftlichen Ereignis des Jahrzehnts werden. Tony hatte ihr eine seiner Sekretärinnen zur Verfügung gestellt, Mrs. Walker, eine auffallend große, sehr dürre dunkelhaarige Frau, die immer geschäftsmäßig wirkte und nie lächelte. Ich vermutete, daß sie nicht allzu froh über ihren Auftrag war. Sie saß uns gegenüber in der Limousine und machte sich Notizen, während sich Mama Dinge ausdachte, die sie noch zusätzlich arrangieren oder ändern wollte. Das Verlesen der Gästeliste stand jeden Morgen als erster Punkt auf dem Programm. Sobald wir in die Limousine eingestiegen waren und die Reise nach Farthy angetreten hatten, wurde Mrs. Walker aufgefordert, die Liste noch einmal vorzulesen.
Mama hatte beschlossen, wenn sie und Tony erst einmal verheiratet waren, nie mehr selbst zu fahren. Von jetzt an gab es für sie nur noch Limousinen und Chauffeure, und wenn Miles einmal nicht zur Verfügung stand, weil Tony ihn gerade brauchte, dann mietete Mama ganz einfach vorübergehend einen Wagen mit Chauffeur.
In den Tagen, die auf das Erntedankfest in Farthinggale Manor folgten, fielen mir an ihr noch andere Veränderungen auf. Sie verwendete noch mehr Zeit auf ihr Haar und ihre kosmetische Pflege, wenn das auch unmöglich erschien, denn sie glaubte, jetzt noch mehr für ihr Aussehen tun zu müssen.
»Die Leute wissen, daß ich bald Mrs. Tony Tatterton bin. Sie sehen mich jetzt genauer an und erwarten mehr von mir. Jetzt gehöre ich wirklich zur guten Gesellschaft, Leigh.«
Ich fand nicht, daß diese zusätzliche Zeit, die sie auf ihr Äußeres verwendete, einen großen Unterschied bewirkte. Aber ich sagte nichts zu ihr, weil ich merkte, wie wichtig ihr all das war. Was mir nicht behagte, war, wie sie über manche ihrer alten Freundinnen sprach, sogar über jemanden wie Elizabeth Deveroe.
Sie zögerte jedesmal, wenn Mrs. Walker beim Vorlesen der Liste an ihrem Namen oder den Namen anderer alter Freundinnen angelangt war.
»Jetzt tut es mir doch irgendwie leid, daß ich sie eingeladen habe«, sagte sie dann. »Sie werden sich absolut deplaziert vorkommen.«
Auf unserem Weg nach Farthy zur Generalprobe ließ sie ein bestimmtes Paar von der Liste streichen, dem die Einladung noch nicht zugegangen war, und fügte statt dessen ein neues Paar hinzu, die Kingsleys, weil Louise Avery ihr erzählt hatte:
»Martin Kingsley, der Herausgeber des Globe, ist gerade erst aus Moskau zurückgekommen, und er und seine Frau sind im Moment zwei der begehrtesten Essensgäste in der ganzen Stadt.« Wenn sie Mrs. Walker aufforderte, einen weiteren Namen aufzuschreiben, gab sie immer diese kurzen Erklärungen dazu ab, aber das schien Mrs. Walker nicht zu beeindrucken. Mama merkte es nicht, oder sie störte sich nicht daran. Sie war in ihrer eigenen Welt und glücklicher, als ich sie je erlebt hatte.
Als wir durch die Tore von Farthy fuhren, ging sie gerade noch einmal die Menüfolge durch und fragte sich laut, ob wir noch eine zusätzliche Auswahl von Vorspeisen brauchten. Ich hatte zwar nicht wirklich zugehört, als sie auf der Fahrt nach Farthy ständig vor sich hin geredet hatte, doch jetzt sagte ich, ich fände, es klinge so, als gebe es genug von allem. Ich machte den Fehler, noch hinzuzufügen: »Es wird so schon mehr zu essen geben als auf einem von Daddys Luxusdampfern.« Sie klapperte mit den Wimpern und biß sich auf die Lippen, als hätte sie eine
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