Dunkle Verführung: Roman (German Edition)
Dass Wren mit fünfundzwanzig Jahren tagsüber menschliche Gestalt annehmen kann, ist einfach unglaublich.«
Marguerites Herz schlug hart, als sie Wren mit irgendwelchen unsichtbaren Problemen kämpfen sah. »Wir sollten ihm helfen. Er sieht aus, als ob er Schmerzen hat.«
Sein Vater schüttelte den Kopf. »Wir können nichts tun.«
»Aber …«
»Schau es dir an.«
Er ließ sie im Beobachtungsraum allein und ging ins Zimmer nebenan.
Sobald Wren hörte, dass sich die Klinke bewegte, verwandelte er sich in einen Tigard. Er knurrte tief in der Kehle, als er sah, dass sein Vater zu ihm kam.
»Ganz ruhig, Wren«, sagte sein Vater und hockte sich hin. »Komm her.«
Wren wich zurück und beäugte seinen Vater misstrauisch.
Aristoteles ging auf Wren zu, der weiter in die Ecke zurückwich. Als sein Vater die Hand nach ihm ausstreckte, schlug Wren mit den Krallen nach ihm.
Sein Vater zog die Hand zurück.
Sie konnte die Enttäuschung auf seinem Gesicht sehen. Je mehr er sich um seinen Sohn bemühte, desto stärker wehrte Wren ihn ab.
Nach einigen Minuten ging er hinaus.
Sie sah zu, wie Wren sich in einen Menschen zurückverwandelte. Er versuchte zu stehen, aber aus irgendwelchen Gründen gaben seine Beine nach.
Sein Vater kam zu ihr zurück.
»Was stimmt nicht mit ihm?«
»Er kann als Mensch nicht laufen und sprechen. Er ist jetzt wie ein Baby. Alles, was du als Kleinkind gelernt hast, muss er als Erwachsener lernen. Wenn er mich akzeptieren würde, wäre es viel einfacher, es ihm beizubringen. Aber ich fürchte, ich habe ihn zu lange allein gelassen. Er ist wild. Wenn irgendjemand den Raum betritt, schlägt er nach ihm.«
Marguerite wollte so sehr zu Wren, dass sie Schmerzen empfand. Aber sie wusste, dass sie es nicht konnte – es würde ihrer beider Zukunft verändern, und das war das Letzte, was sie wollte.
»Könntest du mir einen Gefallen tun, Maggie?«
Sie hatte keine Ahnung, worum Aristoteles sie bitten würde, also antwortete sie zögernd: »Ich denke schon.«
»Sag Wren, wenn ich die Vergangenheit ändern könnte, würde ich ihn bei mir behalten und ihn nicht wegsperren.«
Ihr Herz zog sich zusammen bei Aristoteles’ Worten, eine Beziehung zwischen Vater und Sohn, die in einer Tragödie enden würde. »Es scheint mir so grausam, dass Sie durch die Zeit reisen und doch nichts ändern können.«
Er stimmte ihr zu. »Es ist grausam, und daher reisen viele von uns nicht. Es ist verdammt verführerisch, die Vergangenheit zurechtzurücken, aber jedes Mal, wenn man es versucht …«
»Versaut man sie nur noch mehr.«
Er nickte.
Marguerite sah zu, wie Wren mit Hilfe der Arme über den Boden in eine Ecke robbte. Er zitterte am ganzen Körper und versuchte, etwas zu bilden, was Worte sein sollten. Er erinnerte sie sehr stark an den Wren, den sie im Sanctuary kennengelernt hatte.
In sich gekehrt und einsam. Verletzt.
Der etwas wollte, von dem er nicht dachte, dass es erlaubt sein könnte.
Aber der Mann, den sie jetzt kannte … war ein ganz anderes Wesen. Wren begann langsam, sich in sich selbst zu verwandeln, und sie hoffte, dass dies vielleicht zum Teil ihretwegen geschah.
Sein Vater seufzte traurig, als er Wren kämpfen sah. »Ich hoffe, du wirst nie erfahren, wie es ist, dein Kind anzusehen und zu wissen, dass du es verletzt hast. Ich erinnere mich noch daran, wie ich ein Jungtier war und wie meine Mutter damals mit mir auf dem Boden herumgerollt ist und mit mir gespielt hat. Es hat ihr nichts ausgemacht, dass ich ein Tier war und sie ein Mensch. Sie hat mich trotzdem geliebt. Genauso wie sie meinen Vater geliebt hat. Man hätte denken können, dass ich mit meinem Sohn genauso umgegangen wäre. Und jetzt … habe ich nicht einmal Zeit, mich zu entschuldigen.«
»Ich glaube, da irren Sie sich. Ich kenne Wren, und das, was Sie getan haben, als er hier war … ich denke, das hat ihm mehr geholfen, als Sie beide glauben.«
Aristoteles sah sie erfreut an. »Ich muss sicherstellen, dass alles geregelt ist und dass er nach meinem Tod in die Zukunft kommt, die er haben soll. Aber zuerst will ich ihm noch eine andere Sache geben.«
»Und was ist das?«
»Die Zukunft, die er verdient.«
12
Aimee holte tief Luft, als sie Peltier House durch die Hintertür betrat. Es war der letzte Ort auf der Welt, an dem sie sein wollte, aber sie begriff besser als irgendwer sonst, warum sie zurückkehren musste.
Wenn sie es nicht tat, würde ihre Familie Fang und seinen ganzen Clan töten.
Sie stärkte sich
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