Dunkle Verlockung (German Edition)
könnte eine Falle sein.«
Im nächsten Moment war er verschwunden, um mit raubtierhafter Anmut dem Besucher entgegenzutreten, der ihr womöglich etwas antun wollte. Sie stand auf und suchte nach einer Waffe, um ihm zu helfen, wenn es nötig sein sollte. Gerade hatte sie sich für eine kleine Statuette entschieden, da vernahm sie zwei männliche Stimmen, die miteinander sprachen. Als sie die zweite Stimme erkannte, stellte sie die Statuette an ihren Platz zurück und trat in den Flur hinaus. »Raphael.«
Der Erzengel mit seinen unglaublich blauen Augen und Haaren, die aussahen wie schwarze Seide, war die reine, männliche Verkörperung von Schönheit. Neben ihm wirkte Galen, als würde er nur aus harten, rauen Kanten bestehen – ein Krieger, der im Angesicht von Raphaels Stärke nichts von seiner rohen Energie einbüßte. Mit kühlen Augen sah er zu, wie der Erzengel vortrat, um ihre ausgestreckten Hände zu ergreifen.
»Haben sich meine Leute gut um dich gekümmert, Jessamy?«
»Immer.« Sie streckte sich und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, ehe sie besorgt fragte: »Was machst du hier?« Alexander war durchaus fähig, Raphaels Abwesenheit auszunutzen, um sich gewaltsam einen Weg in dessen wildes, neues Territorium zu bahnen.
»Alex – wie Illium den vielgerühmten Alexander nennt« – ein Funken Humor – »hat sich gerade mit seiner Lieblingskonkubine zurückgezogen und scheint nicht ansatzweise gewillt, seinen Palast zu verlassen. Man wird mich warnen, wenn er oder seine Armee Anstalten machen, sich in Bewegung zu setzen.«
Etwas an dem Bericht über Alexander erzeugte in ihren Ohren einen Missklang wie von einer beschädigten Harfensaite, aber sie kam nicht dahinter, was es war. Für den Augenblick ließ sie den Gedanken fallen, da er sich ihrem Zugriff hartnäckig entzog, und ließ Raphaels Hände los. »Ich freue mich über deinen Besuch. Komm rein und erzähl mir von deinem Land.«
Während sie dasaßen und sich unterhielten, hielt Galen an der Tür Wache. Weder durch Blicke noch durch Worte verriet er dem Erzengel, was sich zwischen ihm und Jessamy entwickelte … und in ihr keimten Zweifel auf. Seine Zurückhaltung konnte zahlreiche Gründe haben, unter anderem die Tatsache, dass Raphael aus dem Grund hier war, den Mann zu beurteilen, der sein neuer Waffenmeister werden würde. Aber ihre Gedanken kreisten immerfort um eine einzige, furchtbare Schlussfolgerung.
Scham.
Er war mit ihr geflogen, ja, aber das konnte man als ein Geschenk aus Mitleid erklären. In der Öffentlichkeit hatte er bisher noch nichts, überhaupt nichts getan, was anderen Anlass gegeben hätte, über sie zu reden oder sie als Paar anzusehen. Und ohne die Scheuklappen der Hoffnung betrachtet, gaben sie ein hässliches Bild ab: sie mit ihrem deformierten Flügel und ihrer dünnen Figur neben Galens urwüchsiger Kraft und roher Männlichkeit.
Nein, dachte sie, außer sich vor Wut auf sich selbst, nein ! Sie musste den Selbstzweifeln ein Ende machen. Galen hatte es nicht verdient, dass sie ihm solche, aus Angst geborene Verdächtigungen anhängte. Er hatte sie nie angelogen, nicht einmal, was seine aufbrausende Art anging. Vor Erleichterung wurde ihr beinahe schwindelig, und sie wollte fast laut auflachen. Sie schwor sich, ihren Barbaren dafür zu entschädigen.
Schweigend sah Galen zu, wie Raphael Jessamy eine gute Nacht wünschte und ihm anschließend zunickte, ehe er zwischen den funkelnden Sternen am klaren, ebenholzschwarzen Nachthimmel verschwand. Galen verstand den unausgesprochenen Befehl. Ein Waffenmeister verfügte über beträchtliche Macht und Einfluss am Hof eines Erzengels, und eine solche Position würde Raphael niemandem geben, dem er nicht auf jeder Ebene vertraute – morgen würde sein Urteil über Galen fallen.
Er verspürte keine Furcht. Er kannte seine Stärke und wusste, dass er nicht versagen würde. Und er wusste auch, dass er seinerseits Raphael beurteilen würde, denn das war der Mann, für den er in den nächsten Jahrhunderten sein Schwert ziehen würde, vielleicht sogar bis zum Ende seines unsterblichen Lebens. Das war keine leichte Entscheidung für einen Krieger.
Jessamy folgte dem Erzengel mit den Blicken, bis seine Flügel hinter den Bergen verschwanden, und Galen konnte ihre heftig drängende Sehnsucht beinahe schmecken. Es ärgerte ihn, dass sie ihm nicht sagte, was sie brauchte, doch er zügelte seine Reaktion – sie brauchte Zeit, um zu begreifen, dass er sie an jeden Ort
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