Dunkle Verlockung (German Edition)
Kommando.«
GalenstrichsichdasschweißfeuchteHaarzurückunddachtedaran,dasseresunbedingtschneidenlassenmusste – erkonnteessichnichtleisten,dassseineSichtbeeinträchtigtwurde.»LieberbleibeicheinezweitrangigeWacheanTitus’Hof,alsunterUramoderCharisemnonzuarbeiten.«Titusmochtezwargelegentlichgrausamsein,schnellzuverärgernundnochschnellermiteinerKriegserklärung bei der Hand, aber er besaß Ehrgefühl.
Wenn seine Soldaten in eine Schlacht marschierten, durften sie keine Frauen vergewaltigen oder Kindern etwas zuleide tun. Wenn ein Mann nur kämpfte, um sein Haus zu verteidigen, musste man ihm Gnade gewähren, denn Titus bewunderte Mut. Jeder Krieger, der die Regeln des Erzengels brach, wurde kurzerhand vorgeführt und gevierteilt, und die Fleischklumpen, die einst sein Körper gewesen waren, wurden für alle sichtbar an den Bäumen aufgehängt.
Raphaels Herrschaftsstil hingegen war ganz anders, sein Zorn war wie eine kalte Klinge, die im Vergleich zu Titus’ manchmal blinder Wut äußerst präzise Schnitte setzte. Aber auch Raphael hatte in den hundert Jahren seiner Zugehörigkeit zum Kader schon bewiesen, dass seine Ehre es nicht gestattete, Schwächere und Hilflose zu knechten.
»Gibt es an diesem Hof einen Platz für mich?«, fragte Galen unverblümt, wie es seine Art war. Er war als Kind zweier Krieger zur Welt gekommen und an einem kriegerischen Hof aufgewachsen. Die Zierden der Zivilisation hatten nicht zu seiner Erziehung gehört, und obwohl er die Wirksamkeit sprachlicher Gewandtheit durchaus kennengelernt hatte, würde diese Fähigkeit ebenso gut zu ihm passen wie ein zierliches Florett in seine Hand.
»Raphael unterhält keinen Hof«, sagte Dmitri. Er zog eine kleine, schimmernde Klinge aus einer Wandhalterung und warf sie ohne Vorwarnung an die hohe Decke der Halle.
Wie von einem Katapult geschossen, flog Illium hinauf, fing das Messer mit einer Hand aus der Luft und warf es in derselben Bewegung nach Dmitri. Der Vampir fing das Messer am Griff auf, kurz bevor es sein Gesicht treffen konnte. Er bleckte die Zähne und schickte ein wildes Grinsen in Illiums Richtung: »Ich sehe nicht ein, warum hübsche Leute sich nur treiben lassen und nichts tun sollten.«
Galen sah Illium mit einer Präzision landen, wie er sie noch bei keinem anderen gesehen hatte; die Flügel des Jungen waren nicht nur schön, sondern besaßen auch die Muskelkraft, die für dieses Manöver nötig war. Nun ging Galen auf, dass der andere Engel absichtlich den Eindruck erweckte, er sei nur eine hübsche, unterhaltsame Dekoration. Niemand würde in ihm gefährliche Absichten vermuten.
Illiums Antwort auf diese offenherzige Begutachtung war eine Verbeugung, so anmutig und kunstvoll, dass sie einem von Lijuans spießigen Höflingen zur Ehre gereicht hätte. Atemberaubend entfalteten sich seine Flügel. »Hätten Sie heute zum Frühstück gern einen Dolch in Ihrer Kehle, mein Herr?« Der Tonfall war rein aristokratisch, mit einer Prise goldäugiger Koketterie.
»Lässt du ihn allein nach draußen?«, fragte er Dmitri, während er bereits die möglichen Vorzüge von Illiums Fähigkeiten abwog.
»Selten.«
2
Erst am nächsten Morgen, in der verschwiegenen Zeit kurz nach Sonnenaufgang, sah er die große, dünne Engelsfrau wieder. Sie ging allein auf dem marmorgepflasterten Weg, der zu den Türen der großen Bibliothek der Zufluchtsstätte führte. Hinter einer Reihe von Säulen, die das Gebäude säumten, verschwand sie immer wieder im Nebel, um dann plötzlich wieder aufzutauchen.
In ihren Armen trug sie etwas, das wie ein schweres Buch aussah, die glänzenden, kastanienbraunen Haare fielen ihr zu einem langen Zopf geflochten über den Rücken und ihr Gewand – aus einem feinen, himmelblauen Stoff, in dem sich der Nebel widerspiegelte – umspielte sanft flüsternd wie ein vertrauter Liebhaber ihre Knöchel. Ohne recht zu wissen, warum, änderte er seine Flugbahn, um sie abzufangen. Frisch und kühl fuhr ihm der Wind bei seinem steilen Sinkflug über die Haut.
Ein wortloser Schrei entfuhr ihr, ein erschrockenes Keuchen, als er vor ihr landete.
Er legte die Flügel zusammen. »Ich werde das für Sie tragen«, sagte er und nahm ihr den goldverzierten Wälzer aus den Händen, bevor sie zu Atem kommen und Einspruch erheben konnte.
Sie blinzelte, dichte, geschwungene Wimpern senkten sich über ihre tiefbraunen Augen. Die Wärme in dieser Farbe erinnerte ihn an die kunstvoll gemischten Pigmente, die einst ein Künstler bei seinem
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