Dunkle Verlockung (German Edition)
ein Lufthauch zwischen ihnen war, blieb er stehen. Sein dunkler, heißer, potenter Duft überwältigte ihre Sinne. »Bist du sicher?« Er streckte die Hand aus und ließ sie über die Wölbung ihres rechten Flügels gleiten; ihre langen Haare verdeckten den verformten linken Flügel.
»Selbst an Titus’ Hof«, sagte sie und kämpfte gegen das quälende Behagen an, das sich auf ihrer Haut langsam ausbreitete, »wäre dein Verhalten inakzeptabel.« Diese Berührung war nur einem Geliebten gestattet.
Er ließ die Hände sinken und hob eine Braue. »Wenn du keine fleischlichen Gelüste hast« – eine Herausforderung – »hat es nichts zu bedeuten.«
»Die Empfindlichkeit dieses Körperteils entspringt nicht ausschließlich den niederen Trieben.« Es machte ihr Angst, welch heftiges Verlangen er in ihr schürte und wie mühelos er die Abwehr niederriss, die sie in der endlosen Ewigkeit ihrer Existenz aufgebaut hatte. Er hatte ja keine Ahnung, was er da von ihr verlangte.
Zweitausendsechshundert Jahre lang war sie allein gewesen, gefangen in der Zufluchtsstätte. Sie hatte für sich einen Weg finden müssen, um zu überleben, um mehr zu sein als nur ein Gespenst, das am Rand des Lebens anderer dahinvegetierte. Sie hatte etwas aus sich gemacht – eine Frau, die von Erwachsenen respektiert und von ihren Schülern geliebt wurde. Es war kein ruhmreiches Leben, aber es war um vieles besser als die qualvolle Existenz ihrer Jugendzeit.
Sollte sie dieses kleine Glück, das sie gefunden hatte, riskieren und den Sprung ins Ungewisse wagen? Sollte sie darauf vertrauen, dass dieser Krieger – dieser Fremde, der auch gleichzeitig kein Fremder war – sie auffing? Es war eine ungeheuerliche Bitte … Und doch wusste sie, noch während sie das dachte, dass sie vielleicht bereit wäre, diesen Preis zu zahlen, wenn sie dafür die Chance bekam, Galen mit Leib und Seele kennenzulernen. Denn dieser Mann sah sie nicht einfach nur an, er sah in sie hinein .
»Und trotzdem«, sagte er und ging damit auf ihr Argument ein, als sie ihre Worte schon beinahe vergessen hatte, »wird diese Zärtlichkeit nur zwischen Liebenden ausgetauscht.« Daraufhin ging er zu dem Hocker hinüber, neben dem er sein Schwert abgelegt hatte, setzte sich und nahm die Waffe zur Hand, um sie mit einem weichen Tuch zu reinigen.
Sie wollte ihn schütteln, diesen großen Brocken von einem Mann, der glaubte, in allem recht zu haben. »Denkst du, du hast gewonnen?« Weißt du, was du mir antust? Welche Wunden du mir zufügst?
Langsam und gleichmäßig strich er über das schimmernde Metall. »Ich glaube, wir sollten herausfinden, was an deinem Wissen so wichtig ist, dass dir jemand deswegen nach dem Leben trachtet.«
Die Kälte, die sie beinahe hinter sich gelassen hatte, drang ihr wieder in die Knochen. Sie rieb sich die Arme, die von ihrem schlichten Gewand nicht bedeckt wurden, und ging in die winzige Küchenecke, wo sie einen Schrank nach dem anderen öffnete. Ob Galen nun selbst kochte oder nicht, einer der Engel, der für die Versorgung der Kriegerquartiere zuständig war, musste sich um eine Grundausstattung gekümmert haben. Sie fand Mehl, Honig und Butter in einem Kühlgefäß. Nach einigem weiteren Suchen fand sie Trockenobst und Eier. »Hast du Holz für den Ofen?«
Statt einer Antwort stand Galen auf und ging zur gegenüberliegenden Ecke des Quartiers. Dort nahm er zwei kleine Holzscheite aus einem Korb und legte sie in den Ofen. Ein wenig Zunder, und das Feuer brannte. Er schloss die Tür. Der Ofen war speziell auf diese luftigen Quartiere ausgelegt und so konstruiert, dass der Qualm in die Schlucht abzog, die Wärme jedoch im Zimmer blieb. Engel spürten die Kälte nicht wie Sterbliche, aber hier in den Bergen war Wärme stets willkommen.
Galen kehrte zu seinem Schwert zurück und fuhr fort, die ohnehin schon makellose Klinge zu polieren, dabei beobachtete er sie – das spürte sie beinahe so deutlich wie eine körperliche Berührung. »Was kochst du?« Der leise Hauch einer sanfteren Emotion.
Sehnsucht?
Sie wollte den Gedanken von sich weisen, doch dann zögerte sie. Er war an einem Hof von Kriegern aufgewachsen – war er jemals verwöhnt worden? Oder hatte man ihn von der Wiege auf als einen Krieger im Training behandelt, der nichts als Disziplin und Kriegskunst zu beherrschen hatte? »Einen Kuchen mit Trockenfrüchten«, antwortete sie und schüttelte diesen Gedanken ab. Sicher hatte ihn seine Mutter mit Zuneigung verwöhnt, denn wenn
Weitere Kostenlose Bücher