Dunkle Visionen
irgendeine andere Frau. Sie fuhr schnell, fast rücksichtslos.
Sie fuhr den Tamiami Trail weit im Westen hinunter. Hier draußen gab es nur unbefestigte, staubige Wege. Manche führten in ein Sumpfgebiet hinein und über Kanäle und endeten im Nirgendwo. Andere führten zu den ohne behördliche Genehmigung errichteten Jagdhütten, die tief im Dickicht verborgen lagen.
Sie hatte Panik, versuchte, irgendwohin zu gelangen. Irgendwohin. In ein anderes Leben, dachte sie.
Oder weg aus einer Zeit, in der sie sehr jung gewesen war.
Sie hätte es nicht tun sollen, aber sie konnte nicht mehr zurück.
Sie musste …
irgendwohin
gelangen. Unbedingt. Es war wie damals, als sie aus ihrem Schlafzimmer gekommen war. Als sie gewusst hatte, dass sie zu ihrer Mutter musste. Sie musste sich bewegen, schnell, denn wenn sie es nicht tat …
Oh, Gott, wenn sie es nicht tat …
Würde noch jemand sterben. Jemand, den sie liebte. Oh Gott, sie musste das Gaspedal durchdrücken, durchdrücken, fahren, so schnell es nur ging …
„Madison, ssschchch, Madison, es ist gut …“
Kyle war da. Er war zu ihr ins Bett gekommen und hielt sie im Arm. Behutsam strich er ihr das Haar aus der Stirn. „Ich bin da. Alles ist gut.“
Sie erschauerte heftig. Er hielt sie eng an sich gedrückt.
„Was war es denn diesmal?“
„Ich fuhr wieder den Tamiami Trail hinunter. Ich musste ganz schnell irgendwohin gelangen, und ich war verzweifelt, weil ich wusste, dass etwas Schreckliches passieren würde, wenn ich es nicht schaffte. Ich versuchte, eine der Hütten zu erreichen. Erinnerst du dich an die Hütten in den Everglades, Kyle? Als wir noch Kinder waren, waren Roger und mein Dad oft dort, angeblich um zu jagen, aber es endete meistens damit, dass sie nur tranken und auf leere Bierdosen schossen. Dein Dad hat dich bestimmt auch oft mit rausgenommen.“
„Ja, das hat er. Sie haben sich dort immer voll getankt, und es ist wirklich ein Wunder, dass die einzigen Dinge, die sie getroffen haben, leere Bierdosen waren.“
Sie lächelte, dann stöhnte sie und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. „Werde ich nie aufhören zu träumen?“
„Madison“, sagte er und hob sich sanft ihr Gesicht entgegen, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. „Wahrscheinlich gibt es diese Hütten gar nicht mehr. Wir leben heute in einer anderen Zeit. Die Umweltschützer hassen Typen, die auf leere Bierdosen schießen.“
Sie lächelte ein bisschen schief, und er streichelte ihr zärtlich über die Wange. Er war so nah, aber er zog sie noch enger an sich. Ihr war eiskalt gewesen vor Angst, aber jetzt wurde ihr plötzlich ganz warm. Er trug nur einen Bademantel. Was für eine Versuchung. Ihre Finger schlüpften unter den Frotteestoff und glitten über seine Brust. Tiefer. Ihre Finger streiften, dann schlossen sie sich um seine Erektion, wobei sie heftig erschauerte. Sie streichelte ihn unter dem Bademantel, ihre Lippen näherten sich seinem Mund. Aber er zog sich unerwartet zurück und flüsterte: „Die Tür.“
Carrie Anne stand auf der Schwelle und rieb sich verschlafen die Augen.
„Mommy, du hast wieder geschrien.“
Madison ließ augenblicklich von Kyle ab. Er machte seinen Bademantelgürtel zu, stand auf und ging auf Carrie Anne zu. Er verstrubbelte ihr zärtlich das Haar. „Gut, dass du hier bist. Geh und kuschel dich neben deiner Mommy ins Bett, willst du?“
„Du kannst da bleiben“, bot Carrie Anne höflich an.
Er warf Madison einen kurzen Blick zu.
„Ich glaube, ich gehe lieber unter die Dusche“, sagte er freundlich. „Ihr Mädels braucht noch ein bisschen Schlaf. Morgen ist ein großer Tag. Mein Dad eröffnet seine Galerie.“
Geplagt von Schuldgefühlen nahm Madison ihre Tochter in die Arme.
Und versuchte wieder einzuschlafen.
15. KAPITEL
„E s funktioniert einfach nicht“, sagte Madison am nächsten Morgen beim Kaffee zu Kyle.
„Was?“
Sie wurde rot. „Du kannst nichts dafür. Es … es funktioniert nur einfach nicht.“
„Was heißt, es funktioniert nicht? Es geht hier nicht um irgendwelche delikaten Gefühle – weder um deine noch um meine, nicht einmal um die von Carrie Anne. Du bist in Gefahr.“
„Das wissen wir doch gar nicht.“
„Es ist aber verdammt gut möglich.“
„Menschenskind, Kyle …“
„Du kannst nicht allein bleiben.“
„Ich könnte für eine Weile zu Jassy ziehen. Sie kann schießen wie ein Profi.“
„Sie ist nie zu Hause.“
„Dann eben zu meinem Vater.“
„Vielleicht keine sonderlich
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