Dunkle Visionen
berichtete Carrie Anne ernst.
„Tatsächlich?“
Carrie Anne nickte feierlich. „Und er sagt, dass du Kyle schon immer ganz doll lieb gehabt hast.“
„Na ja, er war ja auch mein Stiefbruder, weißt du“, murmelte Madison.
Carrie Anne zuckte die Schultern. „Ich glaube, Daddy hat gemeint, dass du in Kyle schon immer verliebt warst“, sagte sie und klang unglaublich reif für ihr Alter. „Aber es macht ihm nichts aus“, versicherte sie. „Er hat ja jetzt Lindy. Sie ist auch ganz lieb. Es ist lustig, Mommy, aber sie sieht ein bisschen so aus wie du. Bloß dass sie nicht ganz so schön ist, aber sie hat grüne Augen und wirklich schöne rote Haare. Genau wie du und Tante Kaila. Er erzählt Lindy ganz viel von dir.“
„Carrie Anne, du hättest nicht zuhören sollen, und ich will nichts von dem hören, was dein Daddy zu Lindy gesagt hat, okay?“
„Okay.“
Madison erschauerte. Oh Gott, nein, sie würde nicht anfangen, Darryl solch grässlicher Verbrechen zu verdächtigen. Nein, das würde sie ganz bestimmt nicht tun. Verdammter Kyle! Sie konnte nicht durch die Gegend laufen und sich vor ihrer eigenen Familie und ihren Freunden fürchten. Irgendjemandem musste sie schließlich vertrauen.
„Komm, lass uns ins Kino gehen. Und es spielt keine Rolle, wie Lindy aussieht, solange sie nur gut zu dir und Daddy ist“, sagte Madison.
Weil es keine Rolle spielte, wem die Frau ähnlich sah.
Oder?
Während Kyle im Leichenschauhaus war, dort in der Kantine schalen Kaffee trank und auf den Obduktionsbericht wartete, gesellte sich Jassy zu ihm.
„Hallo, großer Bruder.“
„Hi, kleine Schwester.“
„Hummerschwänze, Shrimpscocktail, Pommes frites, grüner Salat mit einer Vinaigrette.“
Er hob eine Augenbraue. „Jassy, ich bin nicht hungrig.“
„Holly Tylers letztes Essen. Hier ist eine Kopie des Berichts. Die Polizei von Dade und Monroe hat bereits ihre Leute losgeschickt, damit sie sämtliche Restaurants von Miami bis Key West abklappern.“
„Sag Jimmy, dass sie sich auf die Gegend südlich von Florida City konzentrieren sollen. Wir wissen bereits, um welche Uhrzeit sich Holly ihr Tattoo hat stechen lassen. Das Essen hat wahrscheinlich im Anschluss daran stattgefunden, und es sieht so aus, als wären sie in Richtung Süden gefahren.“
„Bist du dir sicher?“
Er zögerte, dann zuckte er die Schultern. „Deine Schwester ‚sah‘ sie nach Süden fahren, am Lake Surprise vorbei. Ich bin sicher.“
„Ich sag Jimmy Bescheid.“
Der Gerichtsmediziner konnte ihnen über Tammys Tod nicht viel mehr sagen als das, was sie ohnehin bereits wussten. Sie hatte ihrem Mörder vertraut, bis sie ihr eigenes Blut schluckte. Sie hatte sich nicht gewehrt, sie war einfach gestorben. Unter ihren Fingernägeln fanden sich ein paar Tintenspuren. Einige Fingerabdrücke, die die Spurensicherung von ihrem Schreibtisch, dem Türstock und ein paar anderen Stellen abgenommen hatte, stimmten mit den Abdrücken einiger Jungs mit einem ausgedehnten Vorstrafenregister überein, und Kyle war klar, dass sie sie alle verhören mussten. Allerdings war er sich sicher, dass die Ex-Knackis alle nur gekommen waren, um sich tätowieren zu lassen. Die Fingerabdrücke des Mörders, so sie denn überhaupt vorhanden waren, würden nirgendwo registriert sein.
Er verbrachte einen Teil des Spätnachmittags und des frühen Abends damit, Tammys Angestellte und Freunde und zwei Ex-Liebhaber zu befragen. Sie schienen alle als Verdächtige auszuscheiden.
Gegen sechs rief er in seinem Büro in Virginia an, weil er hoffte, dass Ricky Haines ihm irgendetwas Neues berichten könnte, entweder über Harry Nores derzeitigen Aufenthaltsort oder über ein ähnliches Verbrechen irgendwo in einem anderen Bundesstaat. Ricky klang müde und niedergeschlagen. „Das Einzige, was ich herausgefunden habe und was mit dem Fall irgendwie in Beziehung stehen könnte, ist ein Vorfall, der sich vor zwei Jahren in West Palm Beach ereignet hat.“
„Schieß los.“
„Es gibt nicht viel zu erzählen, weil es zu keiner Anklageerhebung kam. Eine junge Polizistin versuchte die Frauen, die in die Sache verwickelt waren, zu bewegen, Anzeige zu erstatten, aber du weißt ja, wie es mit Vergewaltigungen ist. Es ist schwer, die Opfer dazu zu bringen, gegen ihre Vergewaltiger auszusagen, weil sie genau wissen, dass es der Polizei nicht möglich ist, sie zu schützen, und sie deshalb Angst haben.“
„Ich weiß. Erzähl mir Näheres. Vielleicht kann ich mit der
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