Dunkle Wasser
Endes doch mein unentrinnbares Schicksal sein würde. Wenn ich Miß Deale nur einen Brief schreiben könnte. War sie schon zurück? Jede Nacht betete ich, daß Miß Deale oder Logan mich retteten.
Niemand kam.
Ich war das Kind, das Vater haßte, und er würde mich ganz üblen Leuten übergeben. Mich erwartete keine reiche Familie.
Nicht einmal so jemand wie Buck Henry. Wahrscheinlich hatte er vor, mich der Madame in »Shirley’s Place« zu verkaufen.
Je mehr ich über mein Schicksal nachdachte, um so zorniger wurde ich. Er durfte so etwas nicht mit mir tun! Ich war kein Tier, das man verkaufte und dann vergaß. Ich war ein Mensch, mit einer unsterblichen Seele und dem unveräußerlichen Recht auf Leben, Freiheit und Glück. Miß Deale hatte mir das so oft gesagt, daß es sich tief in mein Gedächtnis eingeprägt hatte. Es war dies der Geist, der in ihrer Klasse geherrscht hatte, und ein bitteres Lächeln verzog mein Gesicht, wenn ich daran dachte.
Aber es war mir, als riefe er mir zu, ich solle ausharren, denn Miß Deale käme, um mich zu retten. Fast hörte ich, wie sie mir Mut zurief und ihre Stimme immer lauter und lauter wurde.
Beeilen Sie sich, Miß Deale, wollte ich herausschreien. Ich bin in Not, Miß Deale! Mein Stolz ist besiegt! Ich werde, ohne mich zu schämen, Ihre Hilfe annehmen! Bitte kommen Sie schnell und retten Sie mich, bevor es zu spät ist!
Ich betete, erhob mich von den Knien, ging zum Küchenschrank und schaute hinein. Trotz allem, das Leben ging weiter, und die Mahlzeiten mußten gekocht werden.
Hoffnung lag in Großvaters wäßrigen, blauen Augen, als er von einem seiner notwendigen Gänge mit noch mehr Ästen in der Hand zurückgekehrt war. Vorsichtig setzte er sich in den Schaukelstuhl. Er nahm sein Schnitzmesser nicht in die Hand, sondern richtete seine Augen auf mich. Verlaß mich nicht, baten seine Augen. Bleib, bettelten sie stumm, während er mich zu sich winkte, um mir etwas zuzuflüstern: »Mir geht’s gut, Kind. Weiß schon, was du denkst. Du willst ausreißen, wenn du ‘ne Chance siehst – mach dich davon, wenn Luke schläft.«
Ich liebte ihn, weil er das gesagt hatte. Ich liebte ihn so sehr, daß ich ihm sein Schweigen verzieh, als die anderen verkauft worden waren. Ich mußte jemanden haben, den ich lieben konnte, sonst hätte ich mich einfach hinlegen und sterben können. »Wirst du mich nicht mehr mögen, wenn ich dich allein lasse und weggehe? Wirst du mich verstehen?«
»Nein, werd’ nie verstehen. Ich weiß im Grund meines Herzens, daß dein Vater das macht, was er für das Beste hält.
Und du denkst im Grunde deines Herzens, daß er nur böse handelt.«
Vater schien zum letzten Mal vor langer Zeit an einem fernen unbekannten Ort geschlafen zu haben. Er döste nicht, er schloß nicht einmal die Augen. Und er entließ mich keine Sekunde aus seinem kalten, dunklen Blick. Meinen herausfordernden Blick erwiderte er nicht; er starrte nur düster auf irgendeine Stelle an mir; meine Haare, meine Hände, meine Füße, meinen Rumpf, er sah überall hin, nur nicht in mein Gesicht.
Sieben Tage vergingen, und Vater blieb.
Und da erschien eines Tages Logan vor unserer Tür wie ein Prinz, der gekommen war, mich zu retten!
Ich öffnete die Tür in der Meinung, daß Großvater vom Abort zurückkehrte. »Hallo«, sagte Logan lächelnd und wurde rot.
»Hab’ viel an dich gedacht in letzter Zeit und mich gefragt, warum du, Tom und die anderen nicht in die Schule kommen, jetzt, wo das Wetter wieder schöner wird. Warum bleibt ihr weg? Was treibt ihr hier?«
Er hatte also Fanny nicht gesehen – warum?
Hastig zog ich ihn herein. Früher hätte ich ihn von der Tür weggeschoben und mir tausend Entschuldigungen einfallen lassen, ihn nicht hereinzubitten. »Vater ist gerade im Hof und hackt Holz«, flüsterte ich in panischer Angst, »und Großvater sitzt draußen auf dem Abort, ich hab’ nicht viel Zeit. Vater kontrolliert mich alle paar Minuten. Logan, mir geht es schlecht, sehr schlecht! Vater verkauft uns, einen nach dem anderen. Zuerst Unsere-Jane und Keith, dann Fanny und Tom… und bald bin ich dran!«
»Mit wem sprichst du, Mädchen?« brüllte Vater, der plötzlich in der Tür stand. Ich duckte mich, und Logan stand meinem Vater Auge in Auge gegenüber.
»Ich heiße Logan Stonewall, Sir«, sagte Logan höflich, aber bestimmt. »Mein Vater ist Grant Stonewall. Er ist Besitzer der Stonewall-Apotheke. Heaven und ich sind gute Freunde, seit ich nach Winnerrow gezogen
Weitere Kostenlose Bücher