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Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz

Titel: Dunkle Wasser in Florenz - Roman: Dunkle Wasser in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Vichi
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Fasziniert verfolgte Casini einen Falken, der in weiten Kreisen flog, ehe er herabstürzte und verschwand.
    Wie lange man wohl bis nach Pian d’Albero brauchte? Casini kannte die Geschichte von den Nazis, die im Juni 1944 dort Partisanen und unschuldige Zivilisten niedergemetzelt hatten, aber er hatte noch nie den Schauplatz dieses Massakers gesehen. Er folgte dem Pfad noch ein paar Kilometer, dann beschloss er umzukehren. Nach Pian d’Albero würde er ein anderes Mal gehen, wenn er mehr Zeit hatte.
    Gemächlich lief er vorwärts und genoss diese Momente der Einsamkeit. Wieder kam er an der kleinen Kapelle vorbei und folgte dem Pfad, der nach La Panca führte. Die keineswegs leblose Stille des Waldes entspannte ihn. Dies war nicht der Wald voller tödlicher Hinterhalte aus dem Krieg.
    Ein kurzes Stück ging es auf einem mit alten Steinen gepflasterten Weg wieder nach oben, und nach einer Biegung entdeckte er hinter dichtem Gestrüpp die Ecke eines alten Steingebäudes. Das musste die Abtei Monte Scalari sein. Als er den Pfad weiterlief, verschwand die Abtei wieder hinter den Bäumen, und nach etwa hundert Schritten tauchte vor ihm ein Tabernakel aus grauem Sandstein auf, dessen Nische leer war. Die Amseln flatterten von den Brombeerbüschen auf, verbargen sich im Unterholz und stießen Warnrufe aus.
    Casini blieb vor dem Tabernakel stehen. Links von ihm fiel ein schmaler und steiniger Pfad steil nach unten ins Tal ab. Wie viel Elend mochte sich in diesen Wäldern abgespielt haben? Auf dem grauen Sandstein des Tabernakels war oben eine Inschrift eingraviert: Omne Movet Urna Nomen Orat. Er versuchte, sie zu übersetzen, und kramte dafür sein altes Schullatein hervor. Jeder. Bewegt. Gefäß. Namen. Bete. Was zum Teufel sollte das heißen? Er gab es auf, den Sinn des Satzes zu verstehen, und lief wei ter. Nach ein paar Schritten stand er vor der Abtei, einem riesigen Bau, der schwer an der Last der Jahrhunderte trug. Hier und da klafften Scharten, die man in den Sandstein geschlagen hatte, und eine Art kleiner Turm erhob sich auf der Mauer beim Hauptportal. Er stellte sich große Säle vor, in denen Geister spukten, riesige Kamine und Fresken mit Heiligenlegenden. An einer breiteren Stelle des Weges parkte ein dicker Peugeot mit schlammverkrusteten Kotflügeln. Wer wohl an einem so einsam gelegenen Ort lebte? Doch wer auch immer es war, Casini beneidete ihn. Ihm hätte es gefallen, in einer solchen Festung zu leben, weit weg von der Stadt und den Menschen. Vielleicht zusammen mit einer liebenden Frau, ganz gleich, ob sie nun blond oder dunkelhaarig war.
    Nun sollte er aber mit der Tagträumerei aufhören und mit beiden Beinen auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Wie viele Jahre spielte er schon mit dem Gedanken, eines Tages aufs Land zu ziehen? Er musste sich nur entscheiden. Viel fehlte nicht mehr bis zu seiner Pensionierung, und er wollte seine letzten Lebensjahre gern damit verbringen, einen Gemüsegarten zu pflegen und Oliven zu ernten. Ein verlassenes Haus mit einem kleinen Stück Land sollte nicht die Welt kosten. Wenn er seine Wohnung im Viertel San Frediano verkaufen würde, könnte er sich leicht eines leisten und es wieder herrichten. Während er weiterlief, versprach er sich: Wenn er die Mörder von Giacomo Pellissari gefunden hatte, würde er sich auf die Suche nach einem alten Landhaus machen.
    In diese Gedanken versunken suchte er wieder mit den Augen den Boden ab. Jetzt hätte er gern eine geraucht. Da bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung, drehte sich um und sah gerade noch, wie ein Kopf hinter dem Hochplateau verschwand. Wer zum Teufel konnte das sein? Er lief so schnell den Hang hinauf, dass er seinen Herzschlag in den Ohren dröhnen hörte. Oben entdeckte er einen buckligen Mann, der sich schnell zwischen den Bäumen entfernte. Er lief ihm hinterher und rief dabei, er solle stehen bleiben. Zunächst beschleunigte der Mann seinen Schritt, als ob er flüchten wollte, doch nach einem weiteren Ruf des Kommissars blieb er stehen und drehte sich um. Als Casini ihn erreichte, sah er einen alten Mann mit einem Korb voller Pilze in der Hand, der ihn misstrauisch anstarrte.
    »Polizei …«, keuchte der Kommissar und legte sich eine Hand an die Brust. Der Alte starrte ihn immer noch an. Er hatte ein langgezogenes, eingefallenes Gesicht, in das sich tiefe Furchen der Erschöpfung gegraben hatten, und strohiges Haar.
    »Warum sind Sie nicht stehen geblieben?«, fragte Casini und wusste, dass dies

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