Dunkler Fremder
Dunkeln.
Er lag auf dem Diwan und lauschte dem Rascheln ihrer
Kleidungsstücke, als sie sich auszog. Dann lag sie in seinen Armen
und ihr leidenschaftlicher Körper verschmolz mit dem seinen, und
als er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte, schmeckte er das Salz
ihrer Tränen auf seinen Lippen.
Shane wurde bewußt, daß er geschlafen
hatte, aber wie lange, konnte er unmöglich sagen. Der Raum lag im
Dunkeln, und er war allein, doch ein schwacher Hauch ihres Parfüms
hing noch in der Luft.
Seine Hand fand den Schalter der Stehlampe. Shane
setzte sich auf und gähnte. Er hatte einen schalen Geschmack im
Mund, und sein Rücken bereitete ihm Schmerzen. Er sah auf seine
Uhr. Es war erst wenige Minuten nach Mitternacht. Er konnte also nicht
lange geschlafen haben.
Er stand auf, zog sich an, ging zur Tür und
öffnete sie. Als er die Stufen hinunterstieg und zum Haus
hinüberging, spürte er die Nachtluft kalt in seinem Gesicht.
Er schauderte und beschleunigte seinen Schritt.
In der Küche brannte Licht. Der Dobermann lag
zusammengerollt auf einer Matte in einer Ecke beim Herd. Er
öffnete ein Auge und sah Shane einen Augenblick fest an und
schloß es dann wieder beruhigt.
Ein Wäschetrockner mit verschiedenen
Wäschestücken hing an Drähten von der Decke herab. Shane
nahm ein Hemd von einer Leine und streifte es über. Er
öffnete die andere Tür und ging durch den dunklen Korridor,
der zur Vorderseite des Hauses führte.
In der Diele war alles still, und er ging auf die
Wohnzimmertür zu, unter der ein schmaler Lichtschein schimmerte.
Vorsichtig drückte er die Türklinke nieder und öffnete
die Tür.
Sie stand mit dem Rücken zu ihm auf der anderen
Seite eines Tisches und hielt einen Telefonhörer an ihr Ohr. Als
er langsam auf sie zuging, schüttelte sie den Kopf und sagte mit
gedämpfter Stimme: »Nein, als ich ihn verließ, schlief
er.« Dann blickte sie auf und bemerkte Shane.
Ihr Gesicht wurde leichenblaß, und schnell legte
sie den Hörer auf die Gabel und zwang sich zu einem Lächeln.
»Nanu, Martin, ich dachte, du schläfst noch.«
Er ging um den Tisch herum und blieb dicht vor ihr stehen. »Mit wem hast du telefoniert?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nur mit einer Bekannten. Es war weiter nichts.«
Sie drehte sich zur Seite, doch Shane packte sie am
Arm und zog sie zu sich heran. »Du hast mit jemandem über
mich gesprochen. Mit wem?«
Plötzlich wurde sie wütend und machte sich
ungehalten von seinem Griff frei. »Du tust mir weh«, sagte
sie.
Er ließ sie so unvermittelt los, daß sie gegen den Tisch taumelte.
Sie massierte mit der einen Hand ihren Arm und sah ihn
dabei wütend an. »Wenn du es unbedingt wissen mußt,
ich habe mit Charles Graham über dich gesprochen.«
Eine plötzliche kalte Wut explodierte in ihm,
eine Wut, in die sich Abscheu, Verachtung und verbitterte Kränkung
mischten. »Du lügst«, schrie er. »Du lügst
mich an.«
Er schlug sie voll ins Gesicht, und als sie gegen den
Tisch zurücktaumelte, folgte er ihr und packte sie bei den
Schultern. »Du wirst mir jetzt die Wahrheit sagen«,
forderte er. »Ich habe genug von dem verdammten
Versteckspiel.«
Sie wehrte sich, ihre Finger griffen wie Krallen nach
seinem Gesicht, doch dann ging plötzlich die Tür auf und ihr
Vater erschien. Er trug einen Hausmantel und hielt in der Hand einen
Krückstock. Den Stock über dem Kopf schwingend schlurfte er
näher, und dann, als er zu einem Schlag gegen Shanes Kopf
ausholte, gaben seine Knie unter ihm nach, und er sackte in sich
zusammen.
Shane hob ihn auf, nahm ihn in die Arme und trug ihn
zur Couch. Seine Wut war plötzlich verflogen. Als er sich
aufrichtete, versetzte Laura ihm einen heftigen Stoß gegen die
Brust. »Geh!« schrie sie ihn an. »Geh fort und komme
nie mehr her. Ich will dich nie wiedersehen.«
Einen langen Augenblick stand er regungslos vor ihr
und starrte sie an, dann drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und
ging durch die Diele hinaus zur Haustür. Sie folgte ihm, und als
er draußen auf der obersten Stufe des Vorplatzes stand, schlug
sie die Tür hinter ihm zu und schob hörbar den
Sicherheitsriegel vor.
Er blieb noch eine geraume Weile stehen und lauschte
auf ihr hemmungsloses Schluchzen, während sie sich wohl innen
gegen die Tür lehnte. Dann ging er über die Auffahrt zu dem
Daimler hinunter. Sein Geist war wie benommen, und er war nur von dem
einen Gedanken bestimmt: Er
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