Dunkler Fremder
würde zu Ende bringen, was er begonnen
hatte.
Den Weg zum Stadtzentrum legte er in rascher Fahrt
zurück, und als er den Daimler auf den Platz lenkte und wenige
Schritte von dem Garland Club entfernt anhielt, schlug es von einem
Kirchturm irgendwo in der Nähe ein Uhr.
Der Nebel war wieder dichter geworden, als er in die
Seitengasse neben dem Klub einbog und auf die Tür des
Personaleingangs zuging. Als er sie öffnete, lag der Korridor
verlassen vor ihm. Er konnte Stimmen und Geschirrklappern aus der
Küche hören, doch es klang irgendwie gedämpft und fern.
Einen Augenblick lang blieb er lauschend stehen und stieg dann die
Stufen der Hintertreppe zum ersten Stockwerk hinauf.
Auch dieser Korridor lag verlassen, und er legte eilig
den Weg zu Steeles Büro zurück. Die Tür war
verschlossen. Er zog den Schlüsselbund, den er Steele abgenommen
hatte, aus der Tasche und probierte einen Schlüssel nach dem
anderen. Hinter ihm öffnete sich unerwartet eine Tür, und er
hörte ein ausbrechendes Gelächter. Schnell trat er in den
abzweigenden Nebengang und drückte sich eng an die Wand. Es klang
so, als ob einige Mädchen der Show aus ihrer Garderobe kämen,
und er lauschte ihren Stimmen nach, die durch den Korridor verklangen.
Als alles wieder ruhig war, ging er zu der Bürotür
zurück und probierte weiter die Schlüssel. Diesmal
paßte schon der zweite, mit dem er es versuchte, und einen
Augenblick später befand er sich in dem Büro.
Er schaltete das Licht ein und trat vor den Safe, der
hinten in einer Ecke neben dem Fenster stand. Er schob den
Schlüssel in das Schloß, der der passendste zu sein schien,
drehte ihn um, und die Tür öffnete sich widerstandslos. Im
obersten Fach befand sich eine Geldkassette. Shane schob sie beiseite
und hielt dann den weißen Briefumschlag in seinen Händen.
Er war in einer sauberen, feminin wirkenden
Handschrift an Henry Faulkner adressiert, und Shane schob den Daumen
unter die Klappe, um ihn aufzureißen. In diesem Augenblick
vernahm er Schritte, die sich draußen auf dem Gang näherten.
Schnell steckte er den Brief in die Tasche und drückte sich dann
im Schutz der Tür fest gegen die Wand, gerade noch rechtzeitig,
bevor es an der Tür klopfte und sie gleich darauf geöffnet
wurde.
Der Mann, der am ersten Abend, als Shane in den Klub
kam, unten im Foyer Dienst gehabt hatte, trat in das Büro ein. Er
trug einen Smoking und hatte einen Stapel Papiere in der Hand. Er
runzelte die Stirn, als er niemanden sah und wollte sich schon
umwenden, als Shane einen Schritt vortrat und ihm die Faust gegen den
ungeschützten Kiefer schmetterte. Als der Mann mit einem leisen
Stöhnen zu Boden sank, schloß Shane rasch die Tür
hinter sich und eilte mit schnellen Schritten durch den Korridor und
verließ unbemerkt das Haus.
Als er auf die Nebengasse hinauskam, hatte sich der
Regen zu einem regelrechten Wolkenbruch verstärkt. Er eilte weiter
zu dem Platz und blieb unter der Laterne stehen, die den Zugang zu der
Seitengasse beleuchtete. Sein Herz klopfte vor Erregung, und er empfand
ein Gefühl des Triumphes. Er zog den Umschlag aus der Tasche und
riß ihn auf.
Er enthielt mehrere zusammengefaltete Blätter. Er
zog sie heraus, entfaltete das erste und hielt es in den Lichtschein
der Laterne. Es war eng von der gleichen femininen Handschrift
beschrieben, die ihm schon auf dem Umschlag aufgefallen war, und das
Blatt trug am oberen Rand eine Überschrift: »Die wahren
Fakten über den Tod von Simon Faulkner.«
Überrascht hob Shane das Papier dichter an die
Augen. Als er zu lesen begann, nahm er eine Bewegung hinter sich wahr,
und noch ehe er sich umdrehen konnte, traf ihn ein Schlag in den
Nacken, der ihm eine Welle des Schmerzes ins Gehirn jagte, wo sie mit
einer Kaskade grellfarbiger Lichter barst.
Das Pflaster stürzte ihm entgegen, und er hob die
Hände, um sein Gesicht zu schützen, doch es erfolgte kein
weiterer Schlag. Statt dessen beugte sich jemand über ihn und
riß ihm die Papiere aus der Hand. Als Shane versuchte, sich
wieder aufzurichten, verschwand sein Angreifer bereits im Nebel, wobei
er seinen Klumpfuß auf dem nassen Pflaster schlurfend hinter sich
herzog.
Ächzend richtete Shane sich an dem Laternenpfahl
auf und suchte daran Halt. Vor seinen Augen flimmerte alles. Doch eines
bahnte sich den Weg in sein Bewußtsein: Der Mann mit dem
Klumpfuß war Wirklichkeit. Er existierte, war kein Alptraum, der
sich in den Jahren seines Leidens
Weitere Kostenlose Bücher