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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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irgendeiner Möglichkeit, die uns noch offenstehen könnte.«
    Callandra holte Luft, sagte aber nichts.
    Henry Rathbone setzte sich und schlug die Beine übereinander. »Im Zimmer auf und ab gehen hilft nicht weiter. Laß uns mit logischem Verstand an die Sache herangehen. Ich nehme an, wir können ausschließen, daß sie das Gift selber genommen hat oder daß es ihr versehentlich verabreicht wurde. Schon gut, Oliver, reg dich nicht auf. Wir müssen die Tatsachen rekapitulieren.«
    Nur mit Mühe unterdrückte Rathbone seine Ungeduld. Er wußte genau, daß es seinem Vater nicht an Anteilnahme mangelte, aber seine Fähigkeit, diese Gefühle zu unterdrücken und sich auf das Denken zu konzentrieren, ärgerte Oliver, weil er selber unfähig dazu war.
    Callandra setzte sich in den anderen Sessel und sah Henry hoffnungsvoll an.
    »Und das Personal?« fragte Henry.
    »Scheidet nach Monks Meinung aus«, erwiderte Rathbone.
    »Es war jemand von der Familie.«
    »Sag mir noch mal, was das für Leute sind«, forderte Henry ihn auf.
    »Alastair, der älteste Sohn, ist der Prokurator, und seine Frau Deirdra baut eine Flugmaschine.«
    Henry hob den Kopf, wartete auf eine Erklärung; die blauen Augen blickten mild und ratlos.
    »Exzentrisch«, erklärte Rathbone. »Aber Monk hält sie für harmlos.«
    Henry verzog das Gesicht.
    »Oonagh McIvor ist die älteste Tochter. Ihr Mann Baird ist offensichtlich in ihre Schwester Eilish verliebt und zweigt aus der Firma Bücher ab, mit denen seine Schwägerin nach Mitternacht in einer Armenschule ihre Schüler unterrichtet. Ihr Ehemann, Quinlan Fyffe, hat in die Familie und das Unternehmen eingeheiratet. Schlau und unsympathisch, aber Monk glaubt nicht, daß er einen Grund hatte, seine Schwiegermutter zu ermorden. Und der jüngere Bruder Kenneth. Er ist zur Zeit unsere größte Hoffnung.«
    »Was ist mit der Tochter in London?« fragte Henry.
    »Die kann’s nicht gewesen sein«, erwiderte Rathbone leicht gereizt. »Sie war weit weg von Edinburgh, Mary und der Arznei. Sie und ihren Ehemann können wir ausklammern.«
    »Warum wollte Mary sie besuchen?« fragte Henry. Er ignorierte Rathbones gereizten Ton.
    »Weiß ich nicht. Hatte was mit ihrer Gesundheit zu tun. Sie erwartet ihr erstes Kind und hat Angst. Ist doch verständlich, daß sie ihre Mutter bei sich haben wollte.«
    »Mehr weißt du nicht darüber?«
    »Meinen Sie, es könnte wichtig sein?« fragte Callandra.
    »Ach was, bestimmt nicht!« Oliver machte eine wegwerfende Handbewegung. Er lehnte an einem kleinen Tisch, wollte sich immer noch nicht setzen.
    Henry ignorierte seine Antwort. »Hast du mal darüber nachgedacht, warum Mary Farraline ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ermordet wurde?« fragte er.
    »Weil er günstig war«, antwortete Rathbone. »Die beste Gelegenheit, den Mord jemand anderem in die Schuhe zu schieben. Das liegt doch auf der Hand.«
    »Vielleicht«, antwortete Henry wenig überzeugt, stützte die Ellbogen auf die Lehne ab und legte die Fingerspitzen gegeneinander. »Aber es erscheint mir ebensogut möglich, daß etwas anderes den Zeitpunkt bestimmt hat. Man bringt doch nicht jemanden um, weil der Zeitpunkt gerade günstig ist.«
    Oliver horchte auf.
    »Denkst du an etwas Bestimmtes?«
    »Es wäre sicher nicht verkehrt, sich genau anzusehen, was den letzten drei, vier Tagen vor Mrs. Farralines Abreise nach London passiert ist«, sagte Henry. »Natürlich ist es möglich, daß jemand jahrelang auf eine solche Gelegenheit gewartet hat, vielleicht ist der Mord aber auch durch etwas begünstigt worden, das kurz vorher passiert ist.«
    »Das könnte natürlich sein«, stimmte Rathbone ihm zu und verließ seinen Platz an dem Tisch. »Danke, Vater. Das ist wenigstens wieder eine neue Möglichkeit, das heißt, falls Monk sie nicht bereits untersucht hat. Aber er hat nichts darüber gesagt.«
    »Sind Sie sicher, daß Sie Hester nicht besuchen dürfen?« fragte Callandra schnell.
    »Ganz sicher, aber vielleicht kann ich morgen im Gericht kurz mit ihr sprechen.«
    »Bitte…« Callandra war sehr blaß. Plötzlich strömten alle Gefühle, die sie hinter praktischen Erwägungen, Intelligenz und Selbstkontrolle versteckt hatte, in das fremde Zimmer mit seinem unpersönlichen Mobiliar und dem Geruch nach Politur.
    Oliver Rathbone sah Callandra an, dann seinen Vater. Sie waren alle drei von den gleichen Gefühlen beherrscht: Angst, Zuneigung, das Wissen um den Verlust, der ihnen drohte; ihre Hilflosigkeit war so offensichtlich,

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