Dunkler Grund
Aufmerksamkeit auf sich. In jungen Jahren mußte er sehr dunkel gewesen sein, der keltische Typ mit sanften Augen und olivfarbener Haut. Inzwischen waren die verbliebenen Haare graumeliert, und sein gerunzeltes Gesicht spiegelte Temperament und Intelligenz wider. Sein Lächeln entblößte eine Reihe wunderbarer Zähne.
»Sie müssen Mr. Oliver Rathbone sein«, sagte er und sah an Monk vorbei. Er hatte eine tiefe Stimme und kostete seinen Akzent aus, als sei er stolz darauf, ein Schotte zu sein. Er streckte seine Hand aus. »James Argyll, Sir, zu Ihren Diensten. Ich denke, auf uns wartet eine große Herausforderung. Ihrem Brief habe ich entnommen, daß Miss Florence Nightingale bereit ist, nach Edinburgh zu kommen, um als Leumundszeugin für unsere Mandantin auszusagen. Sehr gut. Ausgezeichnet.« Er deutete auf einen der Ledersessel, und Monk setzte sich hinein. Ohne besondere Aufforderung ließ Rathbone sich in dem anderen nieder, und Argyll nahm seinen eigenen Platz wieder ein.
»Hatten Sie eine angenehme Reise?« fragte er und sah dabei Rathbone an.
»Wir haben keine Zeit für höfliches Geplauder«, fuhr Monk ihm rüde über den Mund. »Es geht jetzt nur um Miss Latterlys Ruf und darum, was wir mit Miss Nightingale machen können. Ich vermute, Sie wissen, welche Rolle sie im Krieg gespielt hat und welch hohes Ansehen sie genießt.«
»Da vermuten Sie richtig, Mr. Monk«, sagte Argyll mit unverhohlener Belustigung. »Und mir ist auch bewußt, daß sie bis zu diesem Zeitpunkt so ziemlich unser einziger Trumpf ist. Ich nehme an, Sie haben bei Ihren Nachforschungen über die Farralines noch nichts Relevantes gefunden. Natürlich werden wir die mögliche Bedeutung von Anspielungen und Gerüchten in Betracht ziehen, aber Sie werden inzwischen bemerkt haben, falls Sie es nicht schon vorher wußten, daß die Familie in Edinburgh ein hohes Ansehen genießt. Mrs. Mary Farraline war eine außerordentliche Persönlichkeit, und Mr. Alastair ist der Prokurator, eine Position, die Ihrem Anwalt der Krone entspricht.«
Monk wußte wohl, daß er sich die leise Ironie verdient hatte.
»Sie wollen damit sagen, daß ein unbegründeter Angriff nach hinten losgehen könnte.«
»Ja, zweifellos.«
»Können wir die Bücher der Firma prüfen lassen?« Monk beugte sich vor.
»Das bezweifle ich, es sei denn, Sie hätten Beweise für Unregelmäßigkeiten und einen möglichen Zusammenhang mit dem Mord an Mrs. Farraline. Haben Sie die?«
»Nein. Hector Farralines Geschwätz dürfte nicht viel zählen.« Argylls Gesicht wurde ernst. »Erzählen Sie mir mehr über den alten Hector, Mr. Monk.«
Präzise und in allen Einzelheiten berichtete Monk, was er von Hector wußte. Argyll hörte aufmerksam zu.
»Werden Sie ihn in den Zeugenstand rufen?« schloß Monk seinen Bericht.
»Ja, schon möglich«, antwortete Argyll nachdenklich. »Wenn ich es ohne Vorwarnung tun kann.«
»Dann ist er vielleicht zu betrunken, um uns zu nützen!« protestierte Rathbone.
»Und wenn die Familie gewarnt ist, sorgt sie dafür, daß er nicht einmal aufstehen kann«, stellte Argyll fest. »Nein, wir müssen sie überraschen. Nicht sehr schön, wie ich zugebe, aber unsere einzige Waffe.«
»Wie wollen Sie es anstellen?« fragte Rathbone. »Etwas vorbringen, das seine Aussage nötig macht, ganz zufällig?«
Argyll zog anerkennend die Mundwinkel hoch. »Genau. Ich höre, Sie haben noch einen von Miss Latterlys Kollegen auf der Krim ausfindig gemacht, der für sie aussagen wird.«
»Richtig. Einen Arzt, der eine sehr hohe Meinung von ihr hat.«
Monk erhob sich ungeduldig und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
»Was nützt das alles, wenn wir niemanden anbieten können, der Mary Farraline ermordet hat? Es war weder ein Unfall noch ein Selbstmord. Jemand hat ihr eine tödliche Dosis verabreicht, jemand hat Hester die Brosche in die Tasche gesteckt, um den Verdacht auf sie zu lenken. Wie sollen wir Zweifel an ihrer Schuld erzeugen, wenn wir nicht mit dem Finger auf einen anderen zeigen können?«
»Dessen bin ich mir bewußt«, erwiderte Argyll ruhig. »Und deshalb hoffen wir immer noch auf Sie, Mr. Monk. Ich denke, wir können davon ausgehen, daß es jemand aus der Familie war. Das Personal haben Sie aussortiert, wie Mr. Rathbone mir berichtete.«
»Ja, von denen war zur fraglichen Zeit keiner ohne Aufsicht«, stimmte Monk zu. »Außerdem hatte niemand von ihnen einen plausiblen Grund, der Frau etwas anzutun.« Er stieß die Hände heftig in seine
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