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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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schöner Gedanke zu wissen, daß sie mich bereits verurteilt haben!«
    »Wir werden sie eines Besseren belehren«, erwiderte er grimmig. »Bis jetzt kennen sie nur den Standpunkt der Anklage.«
    »Ich…« Weiter kam sie nicht. Jemand klopfte heftig gegen die Tür, sie flog auf, und der Wärter stand auf der Schwelle.
    »Tut mir leid, Sir, aber Sie müssen jetzt gehen. Wir müssen die Gefangene nach oben bringen.«
    Es blieb keine Zeit für weitere Worte. Rathbone sah Hester an, zwang sich zu einem Lächeln, dann folgte er der Anordnung und verließ die Zelle.
    Vor dem High Court von Edinburgh ging es anders zu als im Old Bailey; mit einem Stich im Herzen wurde Monk daran erinnert, daß sie in einem anderen Land waren. Viele Gemeinsamkeiten verbanden die Länder, sie wurden von einer Königin und einem Parlament regiert, doch sie hatten ein anderes Rechtssystem, unterschieden sich in Geschichte und Erbe und waren bis vor kurzem ebenso oft Feinde wie Freunde gewesen.
    Die Anklage wurde von Mr. Gilfeather vertreten, einem riesenhaften, plumpen Mann mit sanfter Stimme und einem widerspenstigen Schöpf grauer Haare. Er trug eine wohlwollende Miene zur Schau. Monk spürte instinktiv, daß seine Leutseligkeit und das freundliche Gesicht geheuchelt waren. Hinter dem Lächeln verbarg sich ein rasiermesserscharfer Verstand.
    Auf der anderen Bank saß – nicht weniger höflich, aber ganz anders im Auftreten –James Argyll. Er sah grau und gefährlich wie ein alter Bär aus, die schwarzen Augen mit den scharfen Brauen unterstrichen eine Miene intensiver Aufmerksamkeit.
    Monk drehte sich zur Anklagebank um. Hester sah sehr blaß aus, ihr Blick ging in die Ferne, als wäre sie in Trance. Vielleicht war sie es ja. Einzelne Sinne mochten wach sein; sie würde sich an jedes Astloch im Geländer der Anklagebank erinnern und doch nicht hören, was gesprochen wurde. Oder sie hörte alles, den Atem des Gerichtsdieners vor ihr, die Wärterin in ihrem Rücken, das Knistern des Feuers in den Kaminen zu beiden Seiten des Saals, und sah dafür die Leute im Zuschauerraum nicht, und wenn sie noch so unruhig waren und sich gegenseitig schubsten, um besser sehen zu können.
    Über ihnen allen thronte der Richter, ein älterer Mann mit einem schmalen, intelligenten Gesicht, schiefen Zähnen und einer langen, schmalen Nase. In seiner Jugend mußte er ein gutaussehender Mann gewesen sein. Inzwischen hatten sich Persönlichkeit und ein launenhafter Charakter tief in sein Gesicht gegraben.
    Der erste Zeuge der Anklage war Alastair Farraline. Absolute Stille trat ein, als sein Name aufgerufen wurde. Jeder im Saal wußte, daß er der Prokurator Fiscalis war, ein Titel, der Angst und Ehrfurcht vor dem Gesetz weckte.
    Gilfeather wandte sich lächelnd an Alastair.
    »Zuerst, Mr. Farraline, lassen Sie mich Ihnen im Namen des Gerichts mein Beileid aussprechen. Ihre Mutter war eine Dame, für die wir alle die höchste Bewunderung hegten.«
    Alastair versuchte zu lächeln, aber es mißlang. Blaß und aufrecht saß er da, sein Haar schimmerte im Licht.
    »Danke«, sagte er einfach.
    Monk blickte hinüber zu Hester. Regungslos starrte sie auf Alastair.
    Oliver Rathbone, der direkt hinter Argyll saß, war so angespannt, daß Monk von seinem Platz aus erkennen konnte, wie der Stoff der Jacke sich über den Schultern straffte.
    »Mr. Farraline«, fuhr Gilfeather fort, »als Ihre Frau Mutter die Reise nach England plante, hatten Sie da schon die Absicht, jemanden für ihre Begleitung zu engagieren?«
    »Ja…«
    »Warum, Sir? Warum nicht jemanden vom Hauspersonal? Ich nehme an, es mangelt Ihnen nicht an Dienstboten.«
    »Nein.« Alastair wirkte ratlos und ein wenig unglücklich.
    »Die Zofe meiner Mutter war noch nie gereist und wollte es auch nicht. Wir befürchteten, ihre Nervosität hätte sie zu einer ungeeigneten und wenig nützlichen Begleitperson gemacht, vor allem, wenn irgendwelche unerwarteten Schwierigkeiten aufgetreten wären.«
    »Natürlich«, stimmte Gilfeather ihm zu und nickte wissend.
    »Sie wollten eine qualifizierte Person, die auch unter widrigen Umständen eine Hilfe gewesen wäre, deshalb haben Sie sich eine Frau mit Reiseerfahrung gesucht.«
    »Und eine Krankenschwester«, fügte Alastair hinzu. »Für den Fall, daß…« Er schluckte. Todunglücklich sah er aus. »Für den Fall, daß die Anstrengung der Reise meiner Mutter zusetzen würde.«
    Der Mund des Richters wurde schmal. Im Zuschauerraum wurde es unruhig. Oliver Rathbone war

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