Dunkler Grund
stimmte er zu. »Aber es wird nicht ausreichen, auf Ihre charakterlichen Qualitäten hinzuweisen, wenn es uns nicht gelingt, jemanden zu präsentieren, der die Gelegenheit gehabt und ein Motiv hatte, Mrs. Farraline zu ermorden. Mr. Monk ist der Meinung, daß…«
Es war absurd, daß ihr bei der Erwähnung seines Namens der Atem stockte.
Er fuhr fort, als hätte er nichts bemerkt.
»… daß Mr. Kenneth Farraline sich an den Geschäftsbüchern der Firma zu schaffen gemacht haben könnte, um seine Affäre mit einer Frau zu finanzieren, die seine Familie für äußerst unpassend hält. Für wie unpassend und warum, wie weit er sich mit dieser Frau eingelassen hat, ob es ein Kind gibt oder nicht, ob sie ihn in der Hand hat – das müssen wir alles noch herausbekommen. Ich habe Mr. Monk gebeten, sich unverzüglich darum zu kümmern. Wenn er so brillant ist, wie Mr. Rathbone mir versichert, dann sollte er nicht mehr als zwei Tage dafür brauchen. Allerdings wundert es mich, daß er diese Dinge nicht längst in Erfahrung gebracht hat.«
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. »Weil es völlig unerheblich ist, ob er eine Geliebte hat, wenn wir ihm nicht beweisen können, daß er Firmengelder veruntreut hat«, sagte sie ernst.
Er war überrascht. »Sie haben natürlich recht, Miss Latterly. Und es ist meine Aufgabe, das zu beweisen. Es wird einige juristische Anstrengungen kosten, eine Prüfung der Geschäftsbücher durchzusetzen. Ich habe vor, Hector Farraline in den Zeugenstand zu rufen, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn es Ihnen recht ist, werden wir jetzt die Liste der Zeugen durchgehen, die Mr. Gilfeather für die Anklage aufrufen wird. Wir müssen wissen, mit welchen Aussagen wir zu rechnen haben.«
Den nächsten Tag verbrachte Monk von Sonnenaufgang bis kurz vor Mitternacht damit, Informationen über Kenneth Farraline zu sammeln und die Ergebnisse in einem Brief an James Argyll zusammenzufassen was seiner Meinung nach überflüssig war, aber da es verlangt wurde, tat er es.
Rathbone verbrachte einen miserablen Tag. Er konnte so gut wie gar nichts tun. Noch nie war ihm der Ausgang eines Falls so wichtig gewesen, und noch nie hatte er so wenig Einfluß darauf nehmen können. Wohl ein dutzendmal wollte er losgehen, um Argyll aufzusuchen, und jedesmal widerstand er dem Wunsch. Es hätte zu nichts geführt, aber letztlich war es wohl nur sein Stolz, der ihn davon abhielt, hinter einem anderen Anwalt herzulaufen besonders wenn dieser andere seinen Platz einnahm –, und vielleicht auch die Gewißheit, daß Argyll ihm die Nervosität vom Gesicht ablesen könnte.
Er wußte, daß Callandra Daviot zum Prozeß nach Edinburgh kommen wollte. Morgen sollte er beginnen, also würde sie heute anreisen, es sei denn, sie wäre bereits vor ihm angekommen. Am Nachmittag war er mit seinem Latein am Ende. Bis dahin war er sinnlos im Zimmer auf und ab gegangen, hatte ohne Appetit in einem ausgezeichneten Mittagessen herumgestochert.
Am Abend war er müde, aber er fühlte sich nicht entspannt genug, um ins Bett zu gehen. Plötzlich klopfte es. Er fuhr herum.
»Herein!« rief er, schritt auf die Tür zu und wäre beinahe dagegen gestoßen, als sie sich öffnete und Callandra auf der Schwelle stand. Unmittelbar hinter ihr stand Henry Rathbone, sein Vater. Natürlich hatte Oliver ihm alles über den Fall erzählt. Sein Vater war Hester ein paarmal begegnet und hatte sie ins Herz geschlossen. Törichterweise empfand Oliver den Anblick seines Vaters mit dem asketischen Gesicht und der gütigen Miene als Trost.
»Ich bitte um Verzeihung, Oliver«, sagte Callandra kühl. »Ich weiß, es ist spät, und wahrscheinlich störe ich Sie bei der Arbeit, aber ich konnte mich nicht bis morgen gedulden.« Sie kam herein, nachdem er lächelnd zur Seite getreten war. Henry Rathbone folgte ihr auf dem Fuße, seinen Sohn aufmerksam musternd.
Rathbone schloß hinter ihnen die Tür. »Ich hatte dich nicht erwartet, Vater! Es ist gut, daß du gekommen bist.«
»Sei nicht albern.« Henry Rathbone schüttelte den Kopf.
»Natürlich bin ich gekommen. Wie geht es ihr?«
»Ich habe sie am Abend vor ihrer Abreise zuletzt gesehen«, antwortete Rathbone. »Sie lassen hier nur Argyll zu ihr.«
»Und was tun Sie?« wollte Callandra wissen. Sie war zu unruhig, um in einem der großen Ohrensessel Platz zu nehmen.
»Ich warte«, antwortete Rathbone verbittert. »Ich mache mir Sorgen. Ich zermartere mir das Hirn, ob wir auch nichts vergessen haben, suche nach
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