Dunkler Grund
zusammengezuckt. Argyll saß ausdruckslos da.
»Sie haben also inseriert?« soufflierte ihm der Richter.
»Ja. Wir bekamen zwei oder drei Antworten, aber Miß Latterly schien uns die qualifizierteste und passendste Kraft zu sein.«
»Zweifellos hatte sie Referenzen.«
»Selbstverständlich. Ausgezeichnete sogar.«
»Hatten Sie zu irgendeinem Zeitpunkt Grund zum Zweifel an Ihrer Wahl? Ich meine, bevor Sie die beiden an den Zug nach London brachten.«
»Nein. Sie machte den Eindruck einer sehr angenehmen jungen Frau«, antwortete Alastair. Er sah Hester nicht ein einziges Mal an.
Gilfeather stellte ihm noch ein paar scheinbar belanglose Fragen. Monks Aufmerksamkeit schweifte ab. Er suchte nach Oonaghs blonden Haaren, konnte sie aber nicht finden. Eilish und Deirdra dagegen waren nicht zu übersehen. Er war erstaunt, als Deirdra ihm direkt in die Augen sah, Mitgefühl und beinahe so etwas wie Verschwörung im Blick.
Aber vielleicht war es nur eine Spiegelung des Lichts. Gilfeather setzte sich. James Argyll erhob sich von seinem Platz. »Mr. Farraline…«
Alastair sah ihn mit entschiedener, aber höflicher Abneigung an.
»Mr. Farraline.« Argyll lächelte ihn nicht an. »Warum haben Sie jemanden aus London kommen lassen? Haben wir in Edinburgh keine brauchbaren Krankenschwestern?«
Alastairs Gesicht verhärtete sich.
»Es scheint so, Sir. Jedenfalls hat sich auf die Anzeige keine gemeldet. Wir wollten die beste, die wir finden konnten. Und eine Frau, die bei Florence Nightingale gedient hat, schien uns über jeden Zweifel erhaben.«
Das Gemurmel im Publikum drückte unterschiedliche Gefühle aus: Patriotische Zustimmung für Florence Nightingale, Ärger darüber, daß ihr Ruf hier besudelt werden sollte, wenn auch nur stellvertretend, Erstaunen, Zweifel und Vorfreude.
»Und Sie hielten eine solche Qualifikation tatsächlich für notwendig? Es ist keine schwere Aufgabe, einer intelligenten und in keiner Weise behinderten Dame eine vorbereitete Dosis zu verabreichen«, stellte Argyll fest. »Die Geschworenen könnten sich fragen, warum einheimische Frauen von gutem Ruf nicht ebensogut dafür geeignet gewesen wären, zumal Sie das Geld für die Fahrkarten nach London gespart hätten.«
Diesmal drückte das Murmeln Zustimmung aus.
Monk wurde unruhig. Was sollte dieses Geplänkel? Kein Geschworener würde solche Haarspaltereien verstehen, geschweige denn, sich zum richtigen Zeitpunkt daran erinnern.
»Wir wollten eine Dame, die ans Reisen gewöhnt ist«, wiederholte Alastair beharrlich. Sein Gesicht leuchtete rosig, aber man konnte unmöglich erkennen, welche Gefühle sich hinter den geröteten Wangen und dem unglücklichen Blick verbargen. Vielleicht waren es nur Trauer und eine gewisse Verlegenheit, weil er hier stehen mußte, den Blicken der Öffentlichkeit, ihrer morbiden Neugier ausgeliefert. Er war an Respekt, an ehrerbietige Behandlung gewöhnt. Jetzt aber, wo seine privaten Angelegenheiten, seine Familie und ihre Gefühle vor allen ausgebreitet wurden, fühlte er sich schutzlos.
»Vielen Dank«, sagte Argyll höflich und emotionslos. »Hat Miss Latterly Ihren Erwartungen entsprochen, als sie in Ihrem Haus zu Gast war?«
»Ja, natürlich«, sagte er schroff. »Ich hätte meine Mutter doch nicht reisen lassen, wenn ich nur den geringsten Verdacht gehegt hätte.«
Argyll nickte und lächelte. »Sicher. Könnte man sagen, daß Ihre Frau Mutter sich sofort mit Miss Latterly gut verstanden hat?«
Alastairs Gesicht verhärtete sich. »Ja… ich glaube ja. Eine bemerkenswerte…« Er brach mitten im Satz ab.
Argyll wartete. Der Richter sah Alastair fragend an. Die Geschworenen beobachteten ihn aufmerksam.
Alastair biß sich auf die Lippe. Offensichtlich hatte er es sich anders überlegt.
Argyll spürte, daß er auf die Verliererstraße geriet. »Vielen Dank, Sir. Das wäre alles.«
Gilfeather nickte wohlwollend, und der Richter entließ Alastair mit der erneuten Versicherung seines Mitgefühls und Respekts, die Alastair mit schmalen Lippen entgegennahm.
Als nächste Zeugin wurde Oonagh McIvor aufgerufen. Sie erregte noch mehr Aufmerksamkeit als Alastair. Sie hatte weder einen Titel, noch bekleidete sie ein öffentliches Amt, und selbst wenn niemand sie gekannt hätte, allein ihr würdevolles Auftreten, diese gezügelte Leidenschaft, hätten Respekt und Anteilnahme gefordert. Natürlich war sie ganz in Schwarz gekleidet, aber sie wirkte alles andere als farblos. Ihre helle Haut schimmerte zart und
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