Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Pferd her. Seite an Seite erreichten sie den Grat, und vor ihnen lag das Massiv des Ben Wyvis; der erste Schnee bedeckte bereits seinen breiten Gipfel. Im hellen Sonnenlicht schien er in der Luft zu schweben. Er ging langsam weiter und blieb dann stehen, atemlos, nicht vor Erschöpfung, sondern vor staunender Bewunderung. Ein weiter, scheinbar grenzenloser Blick. Vor ihm, unten im Tal, lag – in der Sonne schimmernd wie polierter Stahl – der Cromarty Firth, der sich östlich dem unsichtbaren Meer entgegenstreckte. Nach Westen hin verlor sich die Bergkette irgendwo in der Ferne. Er spürte die Sonne auf seinem Gesicht und hob es unbewußt dem Wind und der Stille entgegen.
    Er war froh, allein zu sein. Gesellschaft hätte er als störend empfunden. An einem solchen Ort war jedes Wort eine Blasphemie.
    Und doch hätte er das Erlebnis gerne mit jemandem geteilt, der seine Ergriffenheit verstanden hätte. Hester wäre so jemand gewesen. Sie verstand es zu fühlen und zu betrachten, ohne etwas zu sagen.
    Das Schnauben des Pferdes holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Die Zeit blieb nicht stehen, und er hatte noch einen weiten Weg vor sich. Das Tier war ausgeruht. Er mußte hinunter zum Ufer und zum Fährboot nach Foulis.
    Es dauerte den ganzen Tag, bis er sich nach Portmahomack, wie St. Colmac heute genannt wurde, durchgefragt hatte, und aus der Dämmerung war längst finstere Nacht geworden, als er schließlich die Hufschmiede an der Castle Street erreichte und sich erkundigte, wo er einen Stall für sein Pferd und eine Unterkunft für sich selber finden könnte. Das Pferd wollte der Schmied gerne bei sich behalten, denn er kannte das Tier von anderen Reisenden, Monk selber könne wahrscheinlich unten im Gasthaus am Ufer ein Zimmer mieten, nur ein paar Meter den Hügel hinunter.
    Am nächsten Morgen ging Monk etwa eine Meile am Strand entlang und kletterte den Hügel hinauf, um Mary Farralines Anwesen zu suchen, das offensichtlich ein Mann namens Arkwright gepachtet hatte. Er war in dem Dorf gut bekannt, aber es hatte so geklungen, als wäre er nicht besonders beliebt. Seinem Namen nach zu urteilen war er ein Highlander, kein richtiger Schotte also, und das mochte der Grund dafür sein – auch wenn man Monk mit äußerster Höflichkeit begegnet war, trotz seines unverkennbar englischen Akzents.
    Es war wieder ein strahlender Morgen, die Luft war so klar wie am Tag zuvor. Er hatte nicht weit zu gehen, etwa eine Meile; oben auf dem Grat verlief eine mit Bergahorn und Eschen gesäumte Straße. Links davon stand eine große, aus Steinen gebaute Scheune, und auf der rechten Seite ein kleines Haus. Das mußte Mary Farralines Bauernhaus sein. Dahinter ragten die Schornsteine eines größeren Gebäudes auf, eines Herrenhauses möglicherweise, aber das war sicher nicht das Haus, nach dem er suchte.
    Er mußte sich überlegen, was er sagen wollte. Unter den Bäumen blieb er stehen, um ein wenig Luft zu holen. Er drehte sich um und blickte zurück. Wie ein silbrigblaues Laken breitete sich das Meer unter ihm aus. In der Ferne waren die Berge von Sutherland zu erkennen, die höchsten Gipfel waren schneebedeckt. Im Westen leuchtete eine Sandbucht hell in der Sonne, jenseits davon erstreckte sich blaues Wasser bis zu den blauen Bergen, die weit hinten am Horizont, hundert Meilen oder noch weiter entfernt, zu einem verwaschenen Violett verblaßten. Kaum eine Wolke war am Himmel, und über ihm hatte sich eine Schar Wildgänse formiert, um gen Süden zu fliegen. Er folgte ihrem Flug mit den Augen und sann über das Wunder ihres Instinkts nach, während sie seinen Blicken entschwanden.
    Er legte die letzten Meter seiner Reise zurück und klopfte an die Tür.
    »Ja?« Ein untersetzter, stämmiger Mann mit bartlosem Gesicht öffnete ihm, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen Fremde machte.
    »Mr. Arkwright?« fragte Monk.
    »Ja, der bin ich. Wer sind Sie, und was woll’n Sie?« Er hörte sich wie ein Engländer an, aber Monk erkannte den Akzent nicht gleich.
    »Ich komme aus Edinburgh…«, setzte Monk an.
    »Sie sind kein Schotte«, entgegnete Arkwright finster und trat einen Schritt zurück.
    »Sie auch nicht«, konterte Monk. »Ich hab’ gesagt, daß ich aus Edinburgh komme, nicht, daß ich dort geboren bin.«
    »Na und! Ist mir doch egal, woher Sie sind!«
    Yorkshire. Das war die Melodie in seiner Stimme, von dort stammten die Vokale. Baird McIvor stammte aus Yorkshire.
    Zufall?
    Die Lüge kam Monk spontan in den Sinn. »Ich

Weitere Kostenlose Bücher