Dunkler Grund
und ganz Edinburgh erfuhren, daß er einmal ein Knastbruder war.«
Einen Augenblick lang sah sie ihn ausdruckslos an. Er hätte gerne eine Reaktion von ihr gehabt, ein Spiegelbild seines eigenen Schmerzes, aber er wußte nicht, was er sagen sollte. Er wollte nicht mit ihr streiten. Er brauchte Nähe, die unliebsamen Überraschungen war er leid.
»Armer Baird«, sagte sie leise. »Ein vernichtender Schlag für Eilish.«
»Ja!« stimmte er ihr zu. »Ja, das ist es.«
Hester zog die Stirn in Falten. »Sind Sie ganz sicher, daß es Baird war? Nur weil er im Gefängnis war, muß er sie noch lange nicht getötet haben. Vielleicht hat er Mary erzählt, daß dieser Arkwright ihn erpreßte, und sie hat ihm geholfen und ihm erlaubt, dem Kerl den Bauernhof zu überlassen.«
»Ach, Hester«, winkte er müde ab. »Sie klammern sich an einen Strohhalm. Warum hätte sie das tun sollen? Er hat alle an der Nase herumgeführt, hat ihnen über seine Vergangenheit etwas vorgelogen. Wieso hätte sie ihm die Erpressung finanzieren sollen? Sie mag noch so anständig gewesen sein, aber dazu hätte sie eine Heilige sein müssen.«
»Nein, hätte sie nicht!« widersprach sie. »Ich hab’ Mary gekannt, Sie nicht!«
»Sie haben eine einzige Zugfahrt mit ihr gemacht!«
»Ich kannte sie! Sie hat Baird gemocht. Das hat sie mir selbst gesagt.«
»Weil sie nicht wußte, daß er ’n Knastbruder ist!«
»Wir wissen nicht, was er getan hat!« Sie beugte sich etwas vor. »Vielleicht hat er es ihr gesagt, und sie mochte ihn trotzdem. Wir wissen von einer Zeit, wo er sich über alles aufregte und ständig in die Luft ging. Vielleicht war das, als Arkwright ihn erpreßt hat. Dann hat er es Mary gebeichtet, sie hat ihm geholfen, und alles war wieder gut. Wäre doch möglich.«
»Und wer hat Mary umgebracht?«
Ihr Gesicht verschloß sich. »Weiß ich nicht. Kenneth?«
»Und warum hat Baird mit Chemikalien rumgespielt?«
Sie blickte ihn voller Zorn an. »Seien Sie nicht naiv. Das hat außer Quinlan niemand gesehen, und der ist ganz grün vor Eifersucht. Der lügt doch wie gedruckt, wenn’s um Baird geht!«
»Und läßt ihn für ein Verbrechen aufhängen, das er nicht begangen hat?«
»Na, sicher! Warum nicht?«
Er sah die Gewißheit in ihrem Blick. Er überlegte, ob sie jemals an sich selbst zweifelte, so wie er. Aber sie kannte ja ihre Vergangenheit, sie wußte nicht nur, was sie jetzt dachte und fühlte, sondern was sie schon immer gedacht und gefühlt hatte. Es gab keine geheimen Räume in ihrem Leben, keine dunklen Durchgänge oder verschlossenen Türen in ihrer Seele.
»Das ist ungeheuerlich«, sagte er ruhig.
Sie betrachtete sein Gesicht. »Vielleicht für Sie und mich«, antwortete sie mit leiser Stimme. »Aber Baird hat ihm etwas weggenommen, was ihm gehörte. Nicht seine Frau – aber die Liebe seiner Frau, ihre Achtung und ihre Bewunderung. Er kann ihn deswegen nicht anklagen, er kann ihn dafür nicht bestrafen. Vielleicht findet er das auch ungeheuerlich.«
»Das…«, begann er und brach den Satz ab. »Wir sollten zu ihnen gehen und ihnen mitteilen, was Sie herausgefunden haben.«
Widerwillig erhob er sich. Es blieb ihnen nichts anderes übrig.
Sie standen im Salon des Hauses am Amslie Place. Die ganze Familie war anwesend. Selbst Alastair hatte es einrichten können, nicht in seinem Büro oder im Gericht zu sein. Und die Druckerei lief offensichtlich von alleine, zumindest heute.
»Wir hatten Sie heute morgen erwartet«, sagte Oonagh und blickte Monk aufmerksam an. Sie sah müde aus, die helle Haut unter den Augen war dünn wie Papier, aber wie immer bewahrte sie eine vorbildliche Haltung.
Alastairs Blick wanderte von Monk zu Oonagh und wieder zurück. Für Eilish schien die Anspannung unerträglich zu sein. Wie erstarrt stand sie neben Quinlan. Baird stand auf der gegenüberliegenden Seite, den Blick gesenkt, aschfahl im Gesicht.
Kenneth lehnte sich auf den Kaminsims, ein spöttisches Lächeln um die Lippen, aber es mochte sein, daß es die bloße Erleichterung war. Einmal sah er Quinlan an, doch Eilish schoß einen so verächtlichen Blick auf ihn ab, daß er errötete und sich abwandte.
Deirdra saß mit unglücklichem Gesicht im Ohrensessel, und auch Hector Farraline, der neben ihr saß, war in finsteres Brüten versunken. Zur Abwechslung schien er stocknüchtern zu sein.
Alastair räusperte sich. »Ich denke, Sie sollten uns jetzt mitteilen, was Sie herausgefunden haben, Mr. Monk. Wozu sollten wir länger
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