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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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absurd.
    Und doch erschien ihm die leuchtende Bucht nicht mehr so warm, als er zwischen den Hecken hindurch nach unten zum Strand kletterte und sich auf den Rückweg zur Schmiede machte, wo er sein Pferd bestieg und den langen, harten Ritt zurück nach Inverness in Angriff nahm.
    Er hatte den Cromarty Firth und die Black Isle überquert und saß wieder im Fährboot über den Beauly Firth, der Rücken tat ihm weh, jedesmal, wenn er wütend am Ruder zog, fuhr der Schmerz ihm bis in die Schultern. Er war wild entschlossen, seinen Zorn an irgend etwas auszulassen, da mochte der Fährmann ruhig lächeln und ihm anbieten, beide Ruder zu übernehmen. Plötzlich und ohne Vorwarnung erinnerte er sich an die Szene in seiner Jugend, die sich bereits am Tag zuvor so schmerzhaft angekündigt hatte. Jetzt wußte er, welches das andere Gefühl war, das gestern noch dunkel und unerkannt geblieben war. Es war Scham. Brennende Scham auf der Rückfahrt von einem Einsatz mit dem Rettungsboot, bei dem er Angst gehabt hatte, so schreckliche Angst vor dem gähnenden Wasserschlund, der sich plötzlich zwischen dem sinkenden Schiff und dem Rettungsboot auf getan hatte, daß er zur Salzsäule erstarrt war und das Ziel verfehlt hatte. Natürlich hatte man das Seil ein zweites Mal geworfen, aber ein paar Sekunden waren verloren gewesen, wertvolle Sekunden im Kampf um das Leben des Mannes auf dem Schiff.
    Schweiß trat ihm auf die Stirn, jetzt in der Gegenwart, als er den Rücken krumm machte und das Ruder ergrimmt in das leuchtende Wasser des Beauly Firth stieß. Jetzt, nach all den Jahren, sah er nur den klaffenden Wasserschlund zwischen den beiden Bootswänden. Er spürte die Scham so brennend frisch, daß ihm Tränen der Demütigung in die Augen stiegen.
    Warum erinnerte er sich gerade an diese Begebenheit? Es mußte doch Dutzende schöner Erinnerungen geben – an Augenblicke im Schoß der Familie, an Erfolge und Leistungen. Warum fiel ihm diese Geschichte wieder ein? Steckte mehr dahinter, etwas Bedrohlicheres, an das er sich noch nicht erinnern konnte?
    Oder lag es daran, daß sein Stolz einfach kein Fehlverhalten akzeptieren wollte, daß er diesen Vorfall nicht vergessen konnte, weil die Wunde noch eiterte und alles andere vergiftete? War er tatsächlich so sehr von sich selbst eingenommen?
    »’n bißchen übellaunig heute, was?« bemerkte der Fährmann.
    »Wohl nich’ gefunden, was Se gesucht haben.«
    »Doch… doch, ich hab’s gefunden«, antwortete Monk und zog am Ruder. »Das, was ich erwartet hab’.«
    »Dann isses sicher nich’ nach Ihrem Geschmack gewesen, nach dem Gesicht, was Se machen.«
    »Nein… nicht ganz.«
    Der Fährmann nickte und schwieg.
    Sie erreichten das andere Ufer. Monk kletterte mit steifen Beinen an Land, gab dem Fährmann sein Geld und machte sich von dannen. Alle Knochen im Leib taten ihm weh. Geschah ihm ganz recht. Er hätte den Fährmann rudern lassen sollen.
    Müde und wenig erbaut von dem, was er herausgefunden hatte, kam er nach Edinburgh zurück. Obwohl Schneeregen in der Luft lag und ein böiger Wind ihm ins Gesicht blies, ging er zu Fuß zum Grassmarket. Vor Hesters Pension blieb er stehen, ohne darüber nachgedacht zu haben, warum er zu ihr und nicht zum Ainslie Place gegangen war. Vielleicht glaubte er, daß sie ein Recht darauf hatte, die Wahrheit vor den Farralines zu erfahren oder zumindest dabeizusein, wenn sie es erfuhren. Er dachte nicht daran, wie unbarmherzig es war. Schließlich mochte sie Baird, den Eindruck hatte er zumindest gewonnen.
    Erst als er vor ihrer Zimmertür stand, wurde ihm klar, daß er jemanden brauchte, der mit ihm die Enttäuschung teilte, nicht irgendeinen Menschen, sondern sie. Bei diesem Gedanken verharrte seine Hand in der Luft.
    Doch sie hatte seine Schritte auf dem nackten Boden des Flurs bereits gehört und öffnete mit erwartungsvollem und ein wenig ängstlichem Gesicht die Tür. Sie sah ihm die Enttäuschung an, noch bevor er etwas sagte.
    »Es war Baird…« Es klang nicht einmal wie eine Frage. Sie hielt ihm die Tür auf.
    Er trat ein. Ihm kam gar nicht der Gedanke, daß es nicht schicklich sein könnte.
    »Ja. Er war mal im Gefängnis. Arkwright, der Pächter des Anwesens, weiß das. Wahrscheinlich hat der Dreckskerl mit ihm gesessen.« Er setzte sich auf das Bett, ließ ihr den Sessel. »Ich nehme an, daß McIvor ihm das Anwesen überlassen hat, damit er den Mund hält, und als Mary dahinterkam, hat er sie getötet. Er wollte nicht, daß die Farralines

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