Dunkler Grund
suchten sie alles ab, langsam und systematisch; es war ein sehr solides, einfaches Gebäude. Es war wie eine Scheune gebaut, ähnlich den Lagerhäusern zu beiden Seiten, zu keinem anderen Zweck, als Bücher darin zu drucken. Es gab keine Verzierungen und keinen Stuck, weder Nischen noch Simse, kurzum nichts, hinter dem eine Öffnung versteckt sein könnte.
»Er war besoffen!« sagte Monk enttäuscht. »Er hat Hamish so sehr gehaßt, daß er sich alle möglichen Beschuldigungen einfallen läßt, ganz egal, wie absurd sie sind.«
»Wir suchen noch nicht sehr lange«, gab sie zu bedenken. Er warf ihr einen finsteren Blick zu.
»Haben Sie eine bessere Idee?« fragte sie. »Wollen Sie einfach nach London zurückfahren, ohne jemals zu erfahren, wer Mary getötet hat?«
Wortlos drehte er sich um und klopfte die Wand noch einmal ab.
»Sie verläuft genau entlang der Mauer des angrenzenden Lagerhauses«, sagte er eine halbe Stunde später. »Da ist nicht mal Platz für ein Geheimfach, geschweige denn für ein ganzes Zimmer.» »Und wenn es unter dem Dach ist?«
»Dann würde eine Treppe hinaufführen. Und die gibt es nicht.«
»Dann ist es eben doch hier unten. Und wir haben’s noch nicht gefunden.«
»Ihre Logik ist umwerfend«, bemerkte er spitz. »Weil wir’s noch nicht gefunden haben, muß es irgendwo sein.«
»Das hab’ ich nicht gesagt! Sie drehen meine Worte um!«
Er hob die Augenbrauen. »Es muß also irgendwo sein, weil wir’s noch nicht gefunden haben? Zweifelsohne ein deduktiver Fortschritt.«
Sie nahm die Laterne und ließ ihn im Dunkeln stehen. Es konnte nichts schaden, noch ein wenig zu suchen. Es war ihre letzte Chance. Morgen würden sie abreisen. Man würde Baird McIvor vor Gericht stellen und ihn entweder aufhängen oder »aus Mangel an Beweisen« freilassen. Doch sie würde immer noch nicht wissen, wer Mary Farraline getötet hatte. Aber sie wollte es wissen.
Sie stieß nicht zufällig darauf, sondern durch systematisches Abklopfen der Wand. Ein schweres Paneel verrutschte und gab eine schmale Tür frei. Der Raum hatte wohl ursprünglich zum Lagerhaus nebenan und nicht zu diesem Gebäude gehört. Seine Existenz mußte verborgen bleiben, denn dem Grundriß wäre diese Abweichung nicht zu entnehmen gewesen. Dazu hätte es eines Vergleichs der Grundrisse beider Gebäude bedurft.
»Ich hab’s gefunden!« rief sie überglücklich aus.
»Schreien Sie nicht so«, flüsterte er direkt hinter ihr. Beinahe wäre ihr vor Schreck die Lampe aus der Hand gefallen.
»Lassen Sie das!« Sie ging als erste durch die dunkle Öffnung.
Sie leuchtete den ganzen Raum aus, sobald sie eingetreten waren. Es war ein fensterloser Raum, ungefähr drei auf vier Meter, und sehr niedrig. Ein Abzug in der gegenüberliegenden Ecke sorgte für Belüftung. Mindestens zur Hälfte war er mit Druckerpressen, Druckerfarben, Stapeln von Papier und Schneidemaschinen vollgestellt. Großen Raum nahm ein Tisch ein, der an eine Staffelei erinnerte. Daneben stand ein Regal mit Gravurwerkzeugen und Säureflaschen. Über dem Tisch befand sich ein Halter mit einer großen, schirmlosen Lampe. Wenn sie angezündet war, mußte sie ein strahlendhelles Licht auf den Tisch werfen.
»Was ist das?« fragte Hester verwirrt. »Hier liegen gar keine Bücher herum.«
»Ich glaube, wir haben soeben die Quelle des Reichtums der Familie Farraline entdeckt«, murmelte er beinahe ehrfürchtig.
»Aber wo sind die Bücher? Hier müssen doch irgendwo Bücher sein!«
»Keine Bücher, meine Liebe – Geld! Hier drucken die Herrschaften ihr Geld.«
Hester bekam eine Gänsehaut, nicht nur wegen der Bedeutung seiner Worte, vor allem wegen der Art, wie er es gesagt hatte.
»Sie meinen, falsches Geld?«
»O ja, falsch… sehr falsch! Es muß verdammt gut sein, sonst wären sie nicht so lange damit durchgekommen.« Er trat einen Schritt vor und beugte sich über die Druckplatten, um sie genauer in Augenschein zu nehmen. Das Licht nahm er ihr aus der Hand. »Jede Menge«, stellte er fest. »Hier sind lauter Pfundnoten, fünf Pfund, zehn Pfund, zwanzig. Sehen Sie nur, die verschiedenen schottischen Banken: Royal Bank, Clydesdale, Linen Bank. Und hier sogar die Bank von England! Das hier scheinen deutsche zu sein, französische sind auch dabei. Ziemlich eklektischer Geschmack, aber die Dinger sind verdammt gut!«
Sie spähte ihm über die Schulter, starrte auf die Druckplatten.
»Woher wissen Sie, daß sie es schon lange machen? Könnte doch sein, daß sie
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