Dunkler Grund
erst kürzlich damit angefangen haben, oder?«
»Die Familie ist schon lange vermögend«, antwortete er. »Das reicht weit in die Zeit von Hamish Farraline zurück – ich wette, daß er der ursprüngliche Graveur war. Erinnern Sie sich, was die Frau in der Kirche gesagt hat? Und Deirdra hat mal erwähnt, daß er ein sehr guter Kopist war.« Er nahm eine Banknote in die Hand und betrachtete sie forschend. »Hier, schauen Sie sich die Signatur an.«
»Aber wenn sie auch neue Geldscheine haben – wer ist jetzt der Künstler? Man kann doch nicht einfach losgehen und jemanden engagieren.«
»Natürlich nicht. Jede Wette, daß es Quinlan ist. Deshalb ist der Kerl so arrogant! Er weiß, daß sie ihn brauchen, und sie wissen es auch. Er hat sie in der Hand. Die arme kleine Eilish! Ich nehme an, sie war der Preis.«
»Das ist unglaublich!« erwiderte sie entsetzt. »Niemand würde…« Sie schwieg. Was sie sagen wollte, war absurd, und sie wußte es. Seit undenklichen Zeiten wurden Frauen verschachert, weil es in die ehrgeizigen Pläne ihrer Familien paßte. Eilish war wenigstens noch in ihrem Elternhaus und profitierte von ihrem Reichtum. Quinlan war ungefähr in ihrem Alter und ganz ansehnlich, er war weder ein Trinker noch krank oder sonst irgendwie abstoßend. Und vielleicht hatte er sie früher sogar gemocht, bevor sie sich in Baird verliebte. Oder war es Oonaghs Versuch gewesen, sich selber zu schützen, als sie die hübsche, jüngere Schwester einem Mann zur Frau gab, der sie in Besitz nehmen und keine Untreue dulden würde?
Arme Oonagh – da hatte sie sich verrechnet. Der äußere Anschein war gewahrt, aber Träume lassen sich nicht lenken.
Monk legte die Geldscheine so wieder hin, wie er sie gefunden hatte.
»Glauben Sie, daß Mary Bescheid wußte?« Hester flüsterte die Frage beinahe. »Ich… ich hoffe nicht. Ein schrecklicher Gedanke, daß sie bei so etwas mitgemacht hat. Ich weiß, so schlimm ist es nicht, es gibt viel Schlimmeres, aber auch wenn es nur gierig ist…«
Er sah sie an, mit düsterem Gesicht, im harten Schein der Lampe traten die hageren Züge und die Augenbrauen deutlicher hervor, die Nase erschien noch größer als sonst.
»Es ist ein abscheuliches Verbrechen!« sagte er leise. »Sie meinen, daß es keine Opfer gibt, weil Sie nicht nachdenken. Was tun Sie, wenn die Hälfte Ihres Geldes auf einmal nichts mehr wert ist und Sie nicht mal genau wissen, welche Hälfte? Wie leben Sie weiter? Wem können Sie noch vertrauen?«
»Aber…« Ihr fehlten die Worte.
»Die Leute hätten Angst, noch etwas zu verkaufen«, fuhr er erregt fort. »Klar, Sie könnten tauschen, aber mit wem? Wer will denn schon haben, was man anzubieten hat, und kann einem genau das geben, was man braucht? Seit die Menschen Gebrauchs und Luxusgüter erwerben, seit sie sich spezialisiert haben und miteinander handeln, seitdem haben wir ein gemeinsames Tauschmittel – das Geld. Ja seit wir eine Zivilisation sind und begriffen haben, daß wir mehr sind als hur eine Ansammlung von Individuen, seit wir das Konzept der Gesellschaft entwickelt haben, hat das Geld eine zentrale Bedeutung. Wenn man dieses Vertrauen zerstört, rüttelt man an den Grundfesten der Gesellschaft.«
Sie sah ihn entgeistert an. Langsam erkannte sie die Zusammenhänge und die Größe des angerichteten Schadens.
»Und Worte«, fuhr er bebend fort, »Worte sind das Mittel unserer Kommunikation, das den Menschen über die Tiere erhebt. Wir können denken, Konzepte entwerfen, wir können schreiben, unsere Überzeugungen untereinander austauschen und an spätere Generationen weitergeben. Vergiften wir unsere Beziehungen jedoch mit Schmeicheleien und Manipulationen, unsere Sprache mit Lügen, Propaganda und falschen Metaphern, dann werden wir uns irgendwann nicht mehr erreichen. Wir isolieren uns. Nichts ist mehr wirklich. Wir ertrinken im Morast der Heuchelei, des Eigennutzes. Täuschung, Korruption und Betrug: Das sind die Sünden des Wolfs.« Er brach unvermittelt ab, starrte sie an, als hätte er sie in diesem Augenblick zum erstenmal gesehen.
»Des Wolfs?« fragte sie. »Was meinen Sie damit. Was für ein Wolf?«
»Der unterste Kreis der Hölle«, antwortete er langsam und ließ die Worte einzeln über die Zunge rollen. »Die letzte Grube. Dante. Die drei großen Kreise der Hölle. Der Leopard, der Löwe und der Wolf.«
»Können Sie sich erinnern, wann Sie das gelesen haben, wer es Ihnen beigebracht hat?« flüsterte sie beinahe.
Er wartete so
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