Dunkler Grund
in Falten. »Ach, Hester, warum konntest du dir keinen anständigen Beruf suchen? Ständig bist du in Verbrechen und alle möglichen Katastrophen verwickelt. Was ist nur mit dir los? Ist es dieser Monk, der dich in diese Geschichten hineinzieht?«
Er hatte sie an einer verwundbaren Stelle getroffen, vor allem in ihrem Stolz, denn sie befürchtete längst, daß ihr Leben von Monk und ihrer Zuneigung zu ihm bestimmt wurde.
»Nein, so ist es nicht!« entgegnete sie schroff. »Die Krankenpflege ist ein Beruf, der einen unweigerlich mit dem Tod in Berührung bringt. Die Menschen sterben, Charles, und ganz besonders diejenigen, die krank sind!«
Er sah verwirrt aus. »Aber wenn Mrs. Farraline so krank war, warum glaubst du denn, daß sie ermordet wurde? Das erscheint mir äußerst widersinnig.«
»So krank war sie nicht!« erwiderte Hester heftig. »Sie war schon etwas älter und hatte ein schwaches Herz. Aber sie hätte noch Jahre leben können.«
»Beides geht nicht. Entweder war es ein natürlicher Tod, mit dem zu rechnen war, oder nicht! Manchmal seid ihr Frauen schrecklich unlogisch.« Er lächelte. Nicht unfreundlich oder verächtlich, eher nachsichtig. Das war der Funken im Pulverfaß.
»Quatsch!« rief sie. »Was heißt hier ›ihr Frauen‹? Die meisten Frauen sind keine Spur unlogischer als die meisten Männer! Wir sind anders, das ist alles. Wir kümmern uns weniger um die sogenannten ›Fakten‹ und mehr um die Gefühle der Menschen. Und wir haben viel öfter recht! Außerdem sind wir viel praktischer.
Ihr besteht nur aus Theorien, und die Hälfte davon funktioniert nicht, weil irgendwas nicht stimmt oder fehlt, und schon ist der ganze Rest sinnlos!« Sie hielt plötzlich inne, atemlos und weil sie sich bewußt wurde, wie laut und schrill sie gesprochen hatte und daß sie mit dem einzigen Menschen im ganzen Gebäude – vielleicht in der ganzen Stadt –, der wirklich auf ihrer Seite war und dem die ganze Angelegenheit nichts anderes als schrecklichen Schmerz verursachte, einen Streit anfing.
Er kam ihr zuvor, indem er die Sache noch schlimmer machte.
»Also, wer hat Mrs. Farraline getötet?» fragte er mit umwerfendem Realitätssinn. »Und warum? Wegen Geld? Für Verwicklungen romantischer Natur war sie ja wohl zu alt.«
»Die Menschen hören nicht auf, sich zu verlieben, wenn sie mal über Dreißig sind!« erwiderte sie.
Er starrte sie an. »Ich hab’ noch nie gehört, daß eine Frau über Sechzig Opfer eines Verbrechens aus Leidenschaft geworden ist.« Seine Stimme hob sich ungläubig.
»Ich hab’ nicht gesagt, daß es ein Verbrechen aus Leidenschaft war!«
»Du bist wirklich sehr schwierig, meine Liebe. Warum setzen wir uns nicht, um ruhig miteinander zu reden?« Er deutete auf die Pritsche, die Platz für beide bot, und ließ seinen Worten Taten folgen. »Kann ich dir irgend etwas bringen, das dir das Leben hier erleichtert? Falls sie mich lassen, werde ich es tun. Ich habe dir etwas Wäsche aus deiner Wohnung mitgebracht, aber die haben sie mir abgenommen. Man wird sie dir wohl noch geben.«
»Ja. Du könntest Imogen bitten, mir etwas Toilettenseife zu besorgen. Diese Karbolseife zieht einem die Haut vom Gesicht. Ein schreckliches Zeug.«
»Natürlich!« Er machte ein mitfühlendes Gesicht. »Das wird sie gerne tun. Ich bringe sie, sobald ich kann.«
»Könnte Imogen sie mir nicht selber bringen? Ich würde sie gerne sehen.« Noch während sie sprach, wußte sie, daß ihr Wunsch töricht war.
Sein Blick verfinsterte sich, und seine Wangen röteten sich leicht, als spürte er, daß etwas nicht stimmte, und wüßte nur nicht genau, was es war.
»Es tut mir leid, Hester, aber ich kann nicht zulassen, daß Imogen dich hier besucht. Es wäre für sie unerträglich. Sie würde es nie wieder vergessen, sie würde Alpträume davon bekommen. Es ist meine Pflicht, ihr diesen Kummer zu ersparen.« Er sah so verzweifelt aus, als steckte der eigentliche Kummer tief in ihm selber.
»Ja, und ob das ein Alptraum ist«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich träume auch davon! Aber wenn ich aufwache, liege ich nicht zu Hause unter einer warmen Decke, mit jemandem an meiner Seite, der allen Kummer von mir fernhält! Nein, dann liege ich hier und habe einen langen, kalten Tag vor mir und morgen noch einen und übermorgen den nächsten!«
Er verschloß sein Gesicht, als wollte er die Wahrheit nicht begreifen.
»Das weiß ich doch, Hester. Aber dafür können weder Imogen noch ich etwas. Du
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