Dunkler Grund
Möglichkeit gäbe, daß er die Verteidigung übernähme. Sie war Zeugin seiner Fähigkeiten geworden, der Kraft seines Denkens, seines Charmes, seines schlangenhaften Geschicks, anderen etwas vorzumachen, harmlos zu erscheinen, um dann den tödlichen Biß anzubringen. Das war die Hoffnung gewesen, an die sie sich geklammert hatte. Aber sie wußte, er hätte es ihr nicht gesagt, wenn es auch nur die geringste Chance gegeben hätte. Es war sinnlos und kindisch, gegen das Unvermeidliche zu rebellieren.
»Ich verstehe…«
Er wußte nicht, was er sagen sollte. Wortlos trat er einen Schritt vor und nahm sie in die Arme, hielt sie ganz fest und blieb dabei ganz ruhig stehen, streichelte ihr nicht übers Haar oder die Wange, hielt sie einfach nur fest.
Nach drei ziemlich fruchtlosen Tagen fand Monk sich wieder am Ainslie Place ein, wo er zum Abendessen eingeladen war. In der Zwischenzeit hatte er zwar etwas mehr über die Farralines erfahren, interessante, aber für Hesters Entlastung wenig brauchbare Neuigkeiten. Hamish hatte die Buchdruckerei gegründet, nachdem er kurz nach den Napoleonischen Kriegen den Dienst bei der Armee quittiert hatte und nach Edinburgh zurückgekehrt war. Hector hatte in der Firma nie eine Rolle gespielt und tat es auch heute nicht. Er lebte, soweit die Leute wußten, von seiner Armeepension. Er war bis ins mittlere Lebensalter Soldat gewesen. Nachdem er häufiger Gast im Hause seines Bruders gewesen war und man ihn immer mit offenen Armen empfangen hatte, war er ganz zu ihnen gezogen und lebte dort in einem Komfort, den er aus eigenen Mitteln niemals hätte finanzieren können. Er trank viel zu viel, und soweit die Leute das beurteilen konnten, trug er weder zum Unterhalt der Familie bei, noch spendete er für die Stadt. Abgesehen davon schien er jedoch ein angenehmer Zeitgenosse zu sein, der niemandem Arger machen wollte. Wenn seine Familie beschlossen hatte, ihn bei sich aufzunehmen, dann war es schließlich ihre Sache. Jede Familie hatte ihr schwarzes Schaf, und hatte er sich jemals etwas zuschulden kommen lassen, so war außerhalb des Hauses Farralines davon nichts bekannt.
Hamish war von ganz anderer Art gewesen. Er war ein harter Arbeiter, ein einfallsreicher, wagemutiger und sehr erfolgreicher Geschäftsmann gewesen. Das Unternehmen wirtschaftete äußerst erfolgreich und hatte sich von einer kleinen Firma zu einer der größten Buchdruckereien in Edinburgh, wenn nicht in ganz Schottland entwickelt. Der Ruf der Firma war ausgezeichnet und ohne jeden Makel.
Hamish selber war ein Gentleman gewesen, jede Art von Großmannssucht war ihm fern. Sicher hatte er sich als junger Mann die Hörner abgestoßen, aber das war vollkommen normal. Er war diskret gewesen, hatte seine Familie und seinen eigenen Namen niemals in Verruf gebracht. Vor acht Jahren war er gestorben, nachdem es mit seiner Gesundheit schon eine Weile bergab gegangen war. Zum Schluß hatte er das Haus nur noch selten verlassen. Möglicherweise hatte er ein paar Schlaganfälle gehabt, jedenfalls konnte er sich nicht mehr richtig bewegen. So etwas kam nicht selten vor. Es war traurig, solch einen anständigen Mann zu verlieren.
Das sollte nicht heißen, daß nicht auch sein Sohn ein ausgezeichneter Mann war. Er verstand nicht viel vom Geschäft, deshalb dürfte er froh gewesen sein, die Leitung der Firma weitgehend in die Hände seines Schwagers Baird McIvor legen zu können. McIvor war Ausländer, Engländer, wohlgemerkt, aber trotzdem ein brauchbarer Mann. Vielleicht etwas launisch, aber äußerst fähig und eine ehrliche Haut. Mr. Alastair war der Prokurator, und dieser Posten ließ ihm kaum Zeit für die Druckerei. Er war ein guter Staatsanwalt, der seiner Stadt alle Ehre machte. Manchen mochte er ein bißchen zu würdevoll sein, aber ein Staatsanwalt mußte ein ernsthafter Mann sein. Wenn nicht einmal das Gesetz eine ernsthafte Angelegenheit war, was dann?
Ob er sich früher auch die Hörner abgestoßen hatte? Niemand wußte etwas darüber. Dazu schien er auch nicht der Mann zu sein. Mit seinem Namen war kein einziger Skandal verbunden.
Gut, da hatte es den Fall Galbraith gegeben, aber das war schließlich Mr. Galbraiths Skandal und nicht der des Prokurators.
Monk hatte sich nach dem Galbraith-Fall erkundigt, obwohl er ihn bereits zu kennen glaubte.
Im großen und ganzen erzählte man ihm, was er bereits wußte: Galbraith war des Betrugs beschuldigt worden; es ging um eine große Summe Geldes. Jeder war davon
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