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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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durch die Zelle schweifen, ließ die nackten Wände auf sich wirken; das einzige, tief in die Mauer eingelassene Fenster lag weit oberhalb des Blickfeldes eines jeden Menschen, nur grauer Himmel war hinter den Gitterstäben zu sehen. Dann sah er die Pritsche mit dem eingebauten Nachtstuhl. Schließlich blieb sein Blick auf Hester in ihrem schlichten, bläulichgrauen Schwesternkittel ruhen. Beinahe widerwillig schaute er ihr ins Gesicht, als könnte er es nicht ertragen, was er dort zu sehen bekäme.
    »Wie geht es dir?« fragte er heiser.
    Sie hätte es ihm gerne erzählt, sich die Last und die Angst von der Seele geredet, aber als sie seine müden, rotgeränderten Augen sah und ihr klarwurde, daß er nicht das Geringste tun konnte, um ihr zu helfen, daß er sich höchstens schuldig fühlen würde, weil er so machtlos war, da konnte sie es einfach nicht. Sie machte nicht einmal den Versuch.
    »Mir geht es gut«, sagte sie mit klarer, fester Stimme.
    »Niemand könnte behaupten, daß es ein Vergnügen ist, aber ich habe wesentlich Schlimmeres überstanden, ohne Schaden zu nehmen.«
    Etwas von der Anspannung wich aus seinem Gesicht. Er wollte ihr glauben; es fiel ihm nicht ein, an ihren Worten zu zweifeln.
    »Ja… ja, sicher«, stimmte er ihr zu. »Du bist eine außergewöhnliche Frau.«
    Die Wärterin hatte ihm noch erklären wollen, daß er sie jederzeit rufen könne, aber jetzt fühlte sie sich ausgeschlossen, zog sich zurück und schlug ohne ein weiteres Wort die Tür ins Schloß.
    Bei dem Geräusch zuckte Charles zusammen, drehte sich um und starrte auf die nackte, eiserne Barriere, die auf der Innenseite keine Klinke hatte.
    »Ist schon gut«, sagte Hester schnell. »Sie kommt zurück, wenn deine Zeit um ist.«
    Er sah sie an, zwang sich zu einem Lächeln, aber es wollte nicht recht gelingen.
    »Bekommst du ordentlich zu essen? Ist es hier warm genug? Mir kommt es ein bißchen kalt vor hier drinnen.«
    »Ist nicht so schlimm«, log sie. »Und auch nicht so wichtig. Wie vielen Menschen ist es niemals besser gegangen?«
    Er suchte nach Worten. Höfliche Konversation erschien ihm unpassend, aber vor der Realität schreckte er zurück.
    Hätte Hester nicht das Thema bestimmt, wäre der ganze Besuch ohne ein einziges Wort von Belang geblieben.
    »Monk ist nach Edinburgh gefahren, um herauszufinden, was tatsächlich passiert ist«, begann sie.
    »Monk? Ach ja, dieser Polizist, mit dem du… bekannt warst. Glaubst du…« Er sprach nicht weiter, hatte es sich anders überlegt.
    »Ja«, redete sie für ihn weiter. »Ich denke, er ist so gut geeignet wie jeder andere, die Wahrheit herauszufinden. Sogar besser. Er läßt sich nicht mit Lügen abspeisen, und er weiß, daß ich sie nicht getötet habe, also wird er so lange fragen und beobachten und nachdenken, bis er weiß, wer es getan hat.« Es tat ihr gut, es in Worte zu fassen. Eigentlich hatte sie Charles damit überzeugen wollen, aber es beruhigte sie selber mindestens ebensosehr.
    »Bist du sicher?« fragte er ängstlich. »Könnte es nicht sein, daß du einen Fehler gemacht hast? Du warst müde und hast die Patientin nicht gekannt…« Er sah so kläglich aus, das rosige Gesicht, der verzweifelte Ernst seiner Augen.
    Sie wollte ihm wütend widersprechen, aber Mitleid und langjährige Vertrautheit dämpften ihren Zorn. Was hatte es für einen Sinn, ihm weh zu tun? Er litt auch so schon genug.
    »Nein«, sagte sie schnell. »Es gab zwei Phiolen für jeden Tag, eine für morgens und eine für abends. Ich habe ihr eine Phiole gegeben. Und sie war keine zerstreute alte Dame, die nicht mehr weiß, was sie tut, Charles. Sie war interessant, lebhaft, geistreich und äußerst aufgeschlossen für alles. Sie hätte es gar nicht zugelassen, daß ich einen Fehler mache, selbst wenn ich so unkonzentriert gewesen wäre.«
    Er runzelte die Stirn. »Du meinst also, jemand hat sie vorsätzlich getötet?«
    Ein häßlicher, aber unausweichlicher Gedanke.
    »Ja.«
    »Könnte es nicht sein, daß der Apotheker die falsche Arznei zubereitet hat?« Er war um eine erträglichere Antwort bemüht.
    »Nein, das glaube ich nicht. Es war ja nicht ihre erste Dosis. Wäre die ganze Lieferung falsch gewesen, hätte sie schon an der ersten Dosis sterben müssen. Und wer hat die Brosche in meine Tasche getan? Der Apotheker bestimmt nicht.«
    Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Ich nehme an, dann wollte sie jemand töten und dir die Schuld daran geben.« Er biß sich auf die Lippe und zog die Stirn

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