Dunkler Grund
Lawnmarket gewohnt und sich nicht nur eine, sondern gleich zwei Mätressen gehalten. Seine Komplizen waren verhaftet worden, er war jedoch entkommen und nach Holland geflohen. Mit einem einfachen Trick hatte man ihn dort in die Falle gelockt und nach Edinburgh zurückgebracht, wo er siebzehnhundertachtundachtzig – mit einem Scherz auf den Lippen – am Galgen gestorben war.
Eilish wandte sich jedoch nicht dem Lawnmarket zu, sie ging geradeaus weiter und tauchte in die schmutzige, höhlenartige Finsternis des Cowgate ein.
Monk blieb ihr hartnäckig auf den Fersen.
Hier standen die Laternen weiter auseinander, und der Gehsteig war an manchen Stellen nicht breiter als ein halber Meter. Er war mit groben Steinen gepflastert, und Monk mußte auf seine Schritte achten. Riesige Mietshäuser erhoben sich, vier, fünf Stockwerke hoch, in jedem Zimmer wohnten ein Dutzend oder mehr Menschen, ohne Wasser und Kanalisation. Er kannte es aus seinen langen Jahren in London. Die Luft war erfüllt von demselben Geruch nach Schmutz, Verzweiflung und menschlichen Ausscheidungen. Und dann wurde es um ihn herum noch finsterer, und er versank in einem heftigen Schmerz.
Als er erwachte, waren seine Glieder taub vor Kälte, so steifgefroren, daß Arme und Beine ihm nicht gehorchen wollten, und der Kopf schmerzte so stark, daß es ihm schwerfiel, die Augen zu öffnen. Ein kleiner, brauner Hund leckte ihm freundlich und erwartungsvoll das Gesicht. Es war noch immer dunkel, aber von Eilish war weit und breit nichts mehr zu sehen.
Mühsam rappelte er sich auf, entschuldigte sich bei dem Hund dafür, daß er nichts zu fressen für ihn hatte und machte sich auf den bitteren, beschwerlichen Rückweg zum Grassmarket.
Monk war jedoch mehr denn je dazu entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen, schon gar nicht von einer so oberflächlichen und geistlosen Person wie Eilish Fyffe! Ob ihre mitternächtlichen Stelldicheins nun etwas mit dem Tod ihrer Mutter zu tun hatten oder nicht, er würde herausfinden, wohin sie ging und warum sie dorthin ging!
Also wartete er in der nächsten Nacht wieder auf sie, diesmal nicht am Ainslie Place, sondern an jener Straßenecke, wo die King’s Stables Road in den Grassmarket mündet. So konnte er sich den langen Spaziergang ersparen. Zudem hatte er sich einen stämmigen Spazierstock gekauft und einen gut gepolsterten Hut, den er sich auf seinen immer noch schmerzenden Kopf setzte.
Bei Tageslicht war er mit aufmerksamem Blick durch das Cowgate gegangen, hatte sich jeden Meter eingeprägt, um sich auch im Halbdunkel der spärlichen Gaslaternen zurechtzufinden. Im trüben Herbstlicht war es ein jämmerlicher Anblick gewesen. Die Häuser waren in einem erbärmlichen Zustand, bröckelndes Mauerwerk, verbeulte, halb verblichene Firmenschilder, die Hauswände fleckig und vom Wetter gezeichnet; durch die seichten Rinnsteine flossen Abwässer und Dreck. Die schmalen Seitengäßchen, die zur High Street hinaufführten, waren voller Menschen und Wagen gewesen, Wäsche hatte aus den Fenstern gehangen, überall hatten Haufen von Unrat und Gemüseresten herumgelegen.
Jetzt, da er unter dem Torbogen eines Eisenwarenhändlers stand und auf Eilish wartete, war er entschlossen, nicht noch einmal in die Falle zu gehen.
Um zwanzig Minuten nach Mitternacht sah er ihre schlanke Gestalt aus der King’s Stables Road kommen und in den Grassmarket einbiegen. Diesmal ging sie ein wenig langsamer, vielleicht lag es an dem großen Paket, das sie bei sich trug, und das – ihrem wenig graziösen Gang nach zu urteilen – recht schwer zu sein schien.
Er wartete, bis sie an ihm vorbei war, dann schlüpfte er aus dem Hauseingang und ging ihr nach, hielt sich dabei dicht an der Wand und schwang den Stock, scheinbar lässig, aber mit festem Griff.
Eilish ging den Grassmarket hinunter, überquerte eilig die George IV Bridge, ohne nach links oder rechts zu sehen, und ging hinein ins Cowgate. Nichts deutete darauf hin, daß sie sich verfolgt fühlte. Nicht ein einziges Mal sah sie sich um.
Was, in aller Welt, hatte sie vor?
Jetzt, in der dunklen Höhle des Cowgate, schloß er näher zu ihr auf. Er durfte sie nicht aus den Augen verlieren. Jeden Augenblick konnte sie in einem dieser hohen Häuser verschwinden, und dort könnte er lange nach ihr suchen. Sie waren alle vier oder fünf Stockwerke hoch, und drinnen würde es aussehen wie in einem Kaninchenbau: Durchgänge und schmale Stiegen mit engen Absätzen, Zimmer an Zimmer, jedes
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