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Dunkler Grund

Dunkler Grund

Titel: Dunkler Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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vollgestopft mit Menschen.
    Und die vielen Treppen, Hinterhöfe und Gassen – überall konnte sie plötzlich verschwinden.
    Warum hatte sie keine Angst, eine schöne Frau, nach Mitternacht allein in dieser Gegend? Es gab nur eine Erklärung: Sie wußte, daß jemand sie beschützte. Baird McIvor? Das erschien absurd. Warum sollte er sich hier mit ihr treffen? Das wäre unsinnig. Ungefährlichere und romantischere Treffpunkte hätten sich näher an ihrem Haus in beliebiger Menge finden lassen.
    Als sie an der South Bridge vorbei waren, trat vor Eilish eine finstere, gebückte Gestalt mit einem Sack über der Schulter aus einer Seitengasse, um gleich darauf in einer anderen zu verschwinden, die zum Krankenhaus führte. Schaudernd erinnerte sich Monk der grotesken Verbrechen von Burke und Hare, als hätte er soeben ein dreißig Jahre altes Gespenst gesehen, auf dem Weg zur Pathologie, mit einem frisch getöteten Menschen im Sack, um ihn Dr. Knox zu bringen, dem hünenhaften, einäugigen Anatomen.
    Er drehte sich nervös um, aber niemand war ihm ungebührlich nahe gekommen.
    Eilish setzte ihren Weg fort, und Monk schloß die Hand fester um den Griff seines Stocks. Sie bog nach links in die St. Mary’s Wynd ein. Er lief ihr nach und wäre hinter der Ecke beinahe mit ihr zusammengestoßen, weil sie vor einem dunklen Hauseingang stehengeblieben war; das Paket hatte sie noch in der Hand.
    Sie drehte sich um und sah ihn an, einen Augenblick lang voller Angst, aber dann ging ihr Blick an ihm vorbei, und sie schrie: »Nein!«
    Monk fuhr gerade noch rechtzeitig herum, um seinen Stock hochzureißen und den Schlag abzuwehren.
    »Nein!« schrie Eilish noch einmal mit lauter, respekteinflößender Stimme. »Laß es sein, Robbie! Es ist nicht nötig…«
    Widerwillig ließ der Mann die Hand sinken und wartete ab, den Knüppel immer noch schlagbereit.
    »Sie sind äußerst hartnäckig, Mr. Monk«, sagte Eilish leise.
    »Sie kommen besser mit herein.«
    Monk zögerte. Hier auf der Straße hatte er eine Chance, falls er noch einmal angegriffen würde. Wie viele Männer drinnen auf ihn warteten, wußte er nicht. In einer Gegend wie dem Cowgate konnte man einen Mann spurlos verschwinden lassen. Die grausigen Bilder von Burke und Hare kehrten wie ein Alptraum zurück.
    In Eilishs Stimme schwang ein Lachen mit, auch wenn er ihr Gesicht im Dunkeln nicht erkennen konnte.
    »Keine Angst, Mr. Monk, Sie sind in keine Räuberhöhle geraten. Es ist nur eine Armenschule. Tut mir leid, daß Sie niedergeschlagen wurden, als Sie mir gefolgt sind. Ein paar von meinen Schülern sind allzu eifrig um meine Sicherheit besorgt. Sie wußten nicht, wer Sie sind. Und als Sie mir im Grassmarket nachgeschlichen sind, haben Sie eine sehr finstere Figur gemacht.«
    »Eine Armenschule?« Er war fassungslos.
    Sie mißverstand seine Verblüffung als Ignoranz.
    »Es gibt eine Menge Menschen in Edinburgh, die weder lesen noch schreiben können, Mr. Monk. Es ist keine offizielle Armenschule. Bei uns werden keine Kinder unterrichtet. Wir unterrichten Erwachsene. Vielleicht haben Sie sich noch nie klargemacht, was es für ein Nachteil ist, wenn man nicht lesen kann. Das Lesen ist der Schlüssel zur Welt. Wenn man lesen kann, kann man Bekanntschaft mit den größten Köpfen der Gegenwart schließen, egal, wo sie leben, und natürlich auch mit denen der Vergangenheit! Man kann Zeitungen lesen, um zu erfahren, was die Politiker sagen, und sich sein eigenes Urteil darüber bilden. Man kann die Schilder in den Straßen und Schaufenstern lesen und die Aufschriften auf Etiketten und Arzneiflaschen.«
    »Ich verstehe, Mrs. Fyffe«, sagte er leise. »Ich weiß, was Armenschulen sind. Aber mit dieser Erklärung hatte ich nicht gerechnet.«
    Sie lachte laut. »Sie sind wenigstens ehrlich! Haben Sie gedacht, daß ich hier ein Rendezvous habe? Im Cowgate? Ich bitte Sie, Mr. Monk! Mit wem, wenn ich fragen dürfte? Oder halten Sie mich für eine Meisterdiebin, die die Beute mit ihren Komplizen teilen wollte? Für einen weiblichen Deacon Brodie vielleicht?«
    »Nein…« Schon lange hatte ihn keine Frau mehr bloßgestellt, aber er mußte gestehen, daß er es nicht anders verdient hatte.
    »Kommen Sie trotzdem herein.« Sie wandte sich zur Tür. »Es sei denn, Sie wissen bereits, was Sie wissen wollten. Möchten Sie nicht sehen, ob ich die Wahrheit gesagt habe?« Ihre Stimme klang spöttisch, doch hinter dem Spott versteckte sie ihre Gefühle.
    Er folgte ihr in den engen Flur des

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