Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
mußten in dieselbe Richtung, so einfach war das. Sie schienen mich anzustarren, mich zu taxieren wie eine mögliche Beute, doch schließlich sind wir Frauen hysterisch. Wir rechnen immer mit dem Schlimmsten. Andererseits wissen wir auch, was es bedeutet, in einer Männerwelt aufzuwachsen. Ich ging schneller. Drehte mich zur Kontrolle noch einmal um. Die Männer waren noch immer da. Ich drückte mich an ein Schaufenster und fühlte mich für einen Moment in Sicherheit. Dann stand ich wieder im Dunkeln. Als ich mich zum dritten Mal umsah, war einer der beiden verschwunden. Ich atmete auf, das war ein gutes Zeichen. Der war schon zu Hause. Trotzdem ging ich nicht langsamer. Ich dachte daran, was alles passieren konnte. Nein, vor dem Tod hatte ich keine Angst. Ich betete auch nicht. Mir konnte Schlimmeres widerfahren als der Tod. Ich überlegte mir das genau und wußte, daß das auf keinen Fall passieren dürfte. So denken wir bisweilen, und dann passiert es doch. Wie damals, als ich ins Krankenhaus mußte. Und von anderen gepflegt wurde. Ich ging den steilen Hang hinauf und dachte an das Krankenhaus und alles, was passiert war. Ein Alptraum, der den gegenwärtigen fast in den Schatten stellte. Und das half. Die ganze Zeit hörte ich die Schritte. Was mir angst machte, war die Tatsache, daß er nicht an mir vorbeiging. Ein junger Mann mit langen Beinen, er hätte mich längst überholen müssen. Als ich das Dach meines Hauses sah, hörte ich mein Herz hämmern; die Füße taten mir weh, und ich schwitzte in dem engen Hemd. Ganz bewußt knallte ich das Tor ins Schloß, so als sei jemand in dem leeren Haus, der das hören und aus dem Sessel aufspringen könne. Vor mir lagen nur noch wenige Schritte. Die Treppe hat fünf Stufen; mir fiel ein, daß ich den Schlüssel nicht in der Hand hielt, ich mußte in meiner Tasche wühlen, in dem kleinen Fach. Wie eine lebendige Zielscheibe stand ich unter der Lampe. Endlich fand ich den Schlüssel und schob ihn ins Schloß. Die Tür öffnete sich. Ich hätte aus purer Erleichterung weinen mögen. Der junge Mann wollte nach Hause und schlafen, weiter nichts. Reiß dich zusammen, Irma! Ich starrte in die dunkle Küche. Und keuchte auf. In der Dunkelheit leuchtete ein rotes Auge. Die Kaffeemaschine war noch eingeschaltet. Sie war halb voll. Ich hatte sie angelassen; ich hätte mein ganzes schönes Haus abfackeln können, das einzige, was ich besitze. Ich riß den Stecker aus der Dose. Es roch brenzlig. Ich schaltete die Lampe ein und nahm die Kanne von der Platte. Mußte mich auf den Tisch stützen. Das war zuviel für mich. Der Theaterbesuch, das Gedränge, der Weg durch die nachtschwarze Stadt, der fremde Mann und die eingeschaltete Kaffeemaschine in dem alten Haus. Ich richtete mich auf und schwor mir, daß es so bald kein nächstes Mal geben würde. Dann ging ich ins Badezimmer. Drehte dem Spiegel den Rücken zu und ließ mein Kleid zu Boden gleiten. Streifte mir das enge Hemd über den Kopf. Schob die Arme in den Bademantel. Der ist weiß, aus purem Trotz habe ich einen weißen Bademantel. Ich übernachte ja doch nie bei anderen. In der Küchentür blieb ich stehen und starrte in den Raum. Starrte den gestreiften Läufer an. Mir war nach einem stärkenden Schlückchen. Ich hatte Wein im Keller, deshalb zog ich den Läufer weg, und darunter kam die Luke zum Vorschein. Ich packte den Ring und zog daran. Und dann passierte etwas. Aus dem Flur war ein Geräusch zu hören. Ich hatte die Haustür nicht abgeschlossen! In meinem Entsetzen angesichts der glühenden Kaffeemaschine hatte ich vergessen, die Tür zu schließen; ich war mit einem einzigen Gedanken in die Küche gestürzt, nämlich dem, die Katastrophe verhindern zu müssen. Stocksteif stand ich da, starrte und wollte meinen Augen nicht trauen. Ein Mann mit einem Messer in der Hand betrat die Küche. Die Augen, die alles waren, was ich unter dem Schirm einer blauen Mütze sehen konnte, leuchteten vor Entschlossenheit. Er hatte sich ein Tuch um das Gesicht gebunden und starrte meine Handtasche an, die auf dem Tisch lag. Darin hatte ich zweihundert Kronen. Aber da waren noch der Schmuck und das Silberbesteck und weiteres Bargeld im Safe in Henrys Arbeitszimmer. Während der ersten Sekunden war alles still. Der Mann schien sich über den Geruch nach verbranntem Kaffee zu wundern. Und dann starrte er mich an. Er schwankte ein wenig, das Messer zitterte. Ich wich einen Schritt zurück, er kam hinterher, drückte mich gegen den
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