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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Möglichkeit…«
    »Sara!«
    Dann gingen ihm Skarres Worte durch den Kopf. »Er sieht einfach ziemlich gut aus.« Warum hatte er das gesagt? Und der Pferdeschwanz, die Perle im Ohr? Nein. Gott und die Welt trugen neuerdings einen Pferdeschwanz.
    Schweigend gingen sie weiter.
    »Das ist alles so kompliziert«, sagte Sara nach einer Weile. »Wir sind alle so ängstlich.«
    »Ja«, erwiderte Sejer, »manchmal mache ich mir Gedanken. Weiß nicht, was ich von dir halten soll.«
    »Das hier!« Sie reichte ihm den Arm. »Komm, wir amüsieren uns. Sieh dir mal den Torweg an«, sagte sie und streckte den Arm aus. »Da hinten, neben dem Kiosk.«
    »Ja?« fragte er.
    »Sollen wir dahin gehen und eine Runde knutschen?«
    Die Antwort wäre ihm fast im Hals steckengeblieben. »Knutschen? Im Torweg? Du bist doch verrückt.« Verlegen starrte er seine Schuhe an. »Es ist dreißig Jahre her, daß ich in Torwegen geknutscht habe«, fügte er hinzu.
    »Dann wird es aber höchste Zeit«, lachte sie und zog ihn am Arm.
    Er aber zerrte sie am Torweg vorbei und dachte plötzlich, daß er sich alt fühlte in ihrer Gegenwart. Jung auch, aber ab und zu eben alt, denn sie war so verspielt. Und er konnte sein korrektes Verhalten nicht ablegen und sich gehenlassen. Etwas riskieren. Kollberg reichte Sara bis an die Hüfte. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen, das einen Löwen an der Leine führt. Sie kamen zum Rathaus. MIT GESETZEN WIRD DAS LAND GEBAUT. Sara bewunderte die angestrahlte Kirche.
    »Aber wir könnten doch wenigstens auf den Friedhof gehen und ein paar Grabsteine umschmeißen?« Ihre Stimme klang dünn und flehend.
    Er hustete erschrocken. »Grabsteine umschmeißen?«
    »Nur einen einzigen«, bettelte sie. »Einen kleinen, der nie mehr Besuch bekommt.«
    Er lachte auf und war selbst überrascht von seinem Freimut. Bisher hatte niemand seine Vorstellungen vom Tod ins Wanken bringen können. Spielte es für Elise eine Rolle, daß sie so redeten? Spielte es für seine Gefühle eine Rolle, sollte er vielleicht die Stimme heben und diese Frau zur Ordnung rufen, sie auf das aufmerksam machen, was ihm ganz einfach heilig war?
    »Du bist doch nicht ganz gescheit«, murmelte er.
    »Tust du nie etwas Verbotenes?« fragte sie besorgt.
    »Nein«, er schmunzelte. »Warum sollte ich?«
    »Weil es nützlich und wichtig ist. Willst du denn irgendwann sterben und keine einzige Regel gebrochen haben?«
    »Das läßt sich ja nicht vermeiden. Natürlich habe ich Dummheiten begangen.«
    »Erzähl«, bat sie eifrig.
    »Nein, nein.« Er lachte verlegen. »Das ist längst Vergangenheit.«
    »Ich glaub dir nicht, wenn du mir nichts erzählst.«
    Er dachte nach und sagte dann widerwillig: »Vor vielen Jahren…« Er sah sie an. »Vor sehr vielen Jahren, ich war noch ein Rotzbengel, damit das klar ist. Du weißt, Jugendstreiche gehören nun mal dazu, ich nehme an, daß alle…«
    »Kannst du zur Sache kommen?«
    »Na gut.« Er leckte sich die Lippen. »Vor vielen Jahren hatte ich einen Freund namens Philip. Und ich hatte einen alten Ford. Mit dem waren wir oft unterwegs. Und jedesmal, wenn ich Philip abholen wollte, mußte ich an einer Mautschranke vorbei und bezahlen. Fünf Kronen«, fügte er hinzu. »Das war viel Geld für einen Jungen wie mich. Ich war jedesmal, wenn ich an die Schranke kam, von neuem sauer. Im Mauthäuschen saß eine Kassiererin. Jahr für Jahr saß sie da und streckte die geöffnete Hand durch das Fenster, ich legte einen Fünfer hinein, sie öffnete die Schranke, ich fuhr hindurch. Immer, wenn ich zu Philip wollte. Und immer starrte ich fasziniert diese Hand an. Sie hatte das, was ich als Katzenpfötchen bezeichnen würde.«
    »Katzenpfötchen?« Sara kicherte.
    »Solche weichen, weißen Hände. Eines Tages kam ich auf die Idee, etwas anderes hineinzulegen. Ausnahmsweise. Weil sie so sicher mit Geld rechnete. Um zu sehen, wie sie reagierte, wenn sie plötzlich etwas anderes bekam.«
    »Und was hast du hineingelegt?« fragte Sara rasch.
    »Ich hatte Philip abgeholt. Wir kamen also zur Schranke und hielten vor dem Mauthäuschen. Sie schaute uns an und streckte die Hand aus…«
    »Und was hast du hineingelegt?«
    »Eine tote Maus.«
    »Eine tote Maus«, heulte Sara.
    »Die war in Philips Zimmer in die Falle gegangen. Und hatte keinen Schwanz mehr. Die Frau hat vielleicht geschrien! Gellend, würde ich sagen. Die Maus fiel ihr in den Schoß, und sie sprang so heftig auf, daß sie mit dem Kopf an die Decke stieß, da schrie sie wieder,

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