Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
und Zipp dachte, daß er entweder verdammt sympathisch oder ein teuflisch guter Schauspieler war. Er tippte auf letzteres.
»Ein Kollege von mir, Jacob Skarre, hat schon mit dir gesprochen. Und ich will gleich zur Sache kommen. Er hat klargestellt, daß er im Laufe eures Gesprächs ganz stark das Gefühl hatte, daß du nicht die Wahrheit sagst. Und deshalb bist du hier. Verstehst du?«
Zipp zuckte mit den Schultern. Ruhig, ruhig. Bis in den Bauch durchatmen.
»Es ist nämlich so, daß ich die Intuition des Kollegen Skarre kenne. Und ich muß sie ganz einfach ernst nehmen.«
Zipp streckte die Beine aus und legte einen Fuß über den anderen.
»Ich habe mir die Möglichkeit vorgestellt«, sagte Sejer, »daß ihr beide an dem Abend zusammen irgend etwas unternommen habt, das vielleicht ungeahnte Folgen hatte. Und das du uns verschweigen willst. Weil du dich vor eben diesen Folgen fürchtest.«
Zipp beschäftigte sich mit seinem Speichel. Endlich versiegte der Redefluß. Der Mann schien auf irgend etwas zu warten.
»Willst du nicht widersprechen?« fragte er endlich.
»Wir waren in der Kneipe«, sagte Zipp hilflos.
»Dann erzähl mit deinen eigenen Worten, wie dieser Abend verlaufen ist«, verlangte Sejer. Er saß jetzt in seinem Sessel.
»Mit eigenen Worten?« stammelte Zipp.
»Was ihr unternommen, worüber ihr geredet habt. Vielleicht gewinne ich dann eine Vorstellung davon, was hier eigentlich los ist.«
Wußte er mehr, als er zu erkennen gab? Hatte die Alte mit dem Kinderwagen sie so genau beschrieben?
»Entschuldigung.« Zipp zögerte, während er nach etwas suchte, das als »eigene Worte« bezeichnet werden konnte.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Dieses Gespräch bleibt unter uns, es wird nicht aufgenommen oder auf irgendeine andere Weise festgehalten. Du kannst also ganz offen reden.«
Wie der Mann sich ausdrückte! Jetzt wollte er sich als Verbündeter ausgeben, aber das konnte er doch nicht sein?
Zipp straffte die Schultern. »Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen. Wir waren in der Kneipe und haben ein Bier getrunken. Danach sind wir zu mir nach Hause gegangen. Haben ein Video gesehen. Und sind noch mal eine Runde durch die Stadt geschlendert. Dann war Andreas müde und ist nach Hause gegangen. Das ist alles.«
Sejer nickte aufmunternd. Etwas an seinem Gesicht deutete an, daß er von der Sache mit dem Baby nichts wußte. Er interessierte sich offenbar nur für Andreas. Zipp versuchte, Ruhe zu bewahren. Nicht in die Defensive zu gehen.
»Er ist aber nicht nach Hause gegangen«, sagte Sejer lächelnd. Ein neues Lächeln, offen und strahlend.
Zipp hätte über seine eigene Dummheit lachen mögen. Aber das war ihm einfach so herausgerutscht, ganz unschuldig, und dem Lächeln nach gereichte es ihm sogar zum Vorteil.
»Nein, natürlich nicht. Aber das hat er gesagt.«
»Genau. Er mußte früh raus?«
»Um acht.«
Sejer trank einen Schluck Kaffee. »Welchen Film habt ihr gesehen?«
Spielte das eine Rolle? Glaubte er, sie hätten einen Film gesehen, der sie dann ins Verderben getrieben hatte?
»›Bladerunner‹«, sagte er leise, ein wenig widerwillig, er konnte einfach keine Begeisterung aufbringen.
Sejer hatte diesen leisen Unwillen bemerkt.
»Den habe ich vor langer Zeit auch mal gesehen«, sagte er. »Ich fand ihn nicht besonders toll. Aber ich bin ohnehin altmodisch.«
Zipp entspannte sich ein wenig. »Andreas wollte ihn unbedingt sehen. Und das zum hundertsten Mal oder so.«
»Ach? Zum hundertsten Mal? Und du hast dich gelangweilt?«
»Ich langweile mich oft.«
»Warum?«
»Ich habe keine Arbeit.«
»Deshalb wartest du den ganzen Tag auf Andreas, damit du Gesellschaft hast?«
»Er ruft nachmittags immer an.«
»Habt ihr eine Verabredung getroffen, als ihr euch getrennt habt?«
»Nein, das haben wir nicht mehr…«
Er verstummte. Es war nur so aus ihm herausgesprudelt. Das weiß ich nicht mehr, das weiß ich nicht mehr. Auf dem Strom, den dieser Mann darstellte, trieb er wie ein Papierschnipsel davon.
»Ihr habt was nicht mehr?«
»Ihm sind Leute begegnet«, sagte er, ohne nachzudenken. Und dann verstummte er wieder.
»Ach! Ihm sind Leute begegnet?«
Zipp schaute nicht auf, sonst hätte er das säuerliche kleine Lächeln gesehen.
»Wer denn, Zipp?«
»Ich kannte sie nicht.«
In Gedanken unterdrückte er einen Fluch. Wer zum Teufel legte ihm bloß dieses Gerede in den Mund? Jetzt würde der andere fragen, warum er das nicht schon dem ersten Polizisten erzählt
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