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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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hätte, dem, der bei ihm zu Hause gewesen war. Er hatte es vergessen, so einfach war das. Die Polizei mußte Lügen beweisen können, es reichte nicht, sie zu spüren, auch wenn sie wie Schrotkugeln durch die Luft schwirrten. Was sie ja taten.
    »Wie gut, daß dir das noch eingefallen ist«, sagte Sejer herzlich. »Ich sag es ja immer. Im Laufe der Zeit wird die Erinnerung besser. Und du bist im Moment ja übel dran. Dein bester Freund wird vermißt, und du machst dir Sorgen um ihn.«
    In Gedanken sah Zipp Andreas vor sich, irgendwo eingesperrt. Allein im Dunkeln. In dem weißen Haus. Er begriff das alles nicht. Ein Kloß wuchs in seinem Hals, und ihm stiegen Tränen in die Augen. Aber vielleicht war das ja zu seinem Vorteil. Daß er sich solche Sorgen machte.
    »Zwei Typen«, sagte er mit gesenktem Blick. »Wir sind ihnen auf dem Marktplatz begegnet.«
    »Zwei Männer?«
    »Ja.«
    »Junge Männer?«
    »Älter als wir. Dreißig vielleicht.«
    »Hattest du sie schon mal gesehen?«
    »Nein.«
    »Aber Andreas kannte sie?«
    »Es sah so aus.«
    Lange Pause, gotterbärmlich lang. Entweder verarbeitete er diese Auskünfte, diese dicke Lüge, oder er amüsierte sich über die wilden Phantasien. Und wenn nun Andreas auftaucht und seine Version erzählt? Gehe ich davon aus, daß er nie wieder auftauchen wird? Habe ich ihn abgeschrieben? Nein, ich bin ein Kumpel.
    »Also. Erzähl.«
    »Was soll ich erzählen?«
    Er befand sich jetzt auf einer Eisdecke; sie war dünn und brüchig, und darunter gab es nur noch die kalte Tiefe. Bilder tanzten vor seinen Augen, Andreas’ brennende Wangen, das Baby mit dem zahnlosen Mund.
    »Wir saßen auf einer Bank. Sie standen am Springbrunnen. Andreas sagte, daß er losmüsse. Und dann gingen sie einfach, ich weiß nicht, wohin. Eigentlich war ich ein bißchen sauer.«
    Zipp verstummte. Den Kaffee in seinem Becher hatte er nicht angerührt. Er sollte vielleicht ganz lässig einen Schluck trinken, aber er hatte kein Zutrauen zu seinen Händen. Bei Sejer war das anders, der trank ausgiebig und verkleckerte nichts. Zipps letzte Worte hingen noch in der Luft, eigentlich war ich ein bißchen sauer. Er hatte nur phantasiert, aber die Lüge war fast schon zur Wahrheit geworden, und wenn es wirklich so gelaufen wäre, wenn sie auf der Bank gesessen hätten und Andreas einfach abgehauen wäre, dann wäre er natürlich sauer gewesen. Zufrieden kam er zu diesem Schluß.
    »Aber war Andreas denn nicht immer nur mit dir zusammen?«
    Zipp rutschte in seinem Sessel hin und her. »Das dachte ich auch.«
    »Die Thornegata«, sagte Sejer plötzlich.
    Zipp schaute hoch.
    »Du hast Andreas’ Mutter am Telefon gesagt, daß ihr euch in der Thornegata getrennt hättet.«
    »Das weiß ich nicht mehr«, sagte Zipp schnell.
    »Ich wollte das nur erwähnen, weil es doch einen Grund dafür geben muß, daß du gerade das gesagt hast. Deine Erinnerung hat dich getäuscht, das wissen wir ja jetzt, aber es gibt ja immer einen Grund, aus dem das Gehirn solche Entscheidungen trifft. Ihr wart vielleicht irgendwann an dem Abend in der Nähe der Thornegata?«
    Zipp war verwirrt.
    »Das ist mir nur so rausgerutscht. Fehlkupplung«, erklärte er.
    »So was kommt vor«, gab Sejer zu.
    Er erhob sich und öffnete das Fenster. Die Septemberluft fegte ins Zimmer.
    »Was, meinst du, ist passiert?« fragte Sejer, als er wieder in seinem Sessel saß.
    »Ach verdammt. Ich habe keine Ahnung.«
    »Aber du hast dir doch sicher deine Gedanken gemacht?«
    »Ja.«
    »Und wie sehen die aus?«
    Zipp strengte sich an. Ihm ging auf, daß das, was doch nur ein Gespräch hatte sein sollen, Ähnlichkeit mit einem Verhör bekam.
    »Ich habe mir alles mögliche überlegt«, sagte er mit plötzlicher, heftiger Ehrlichkeit. »Daß er sich aufgehängt hat. Oder was auch immer.«
    »Traust du ihm das zu?«
    »Nein. Oder… ich weiß es nicht.« Er dachte an den Friedhof. »Ich weiß es nicht«, sagte er noch einmal.
    »Hatte er irgendwelche Schwierigkeiten?«
    »Er hat nie welche erwähnt.«
    »Hat er viel über sich gesprochen?«
    »Nie.«
    Sejer stand auf, ging zu einem grünen Aktenschrank, nahm einige Papiere heraus, blätterte darin. Zipp reckte den Hals, saß jedoch zu weit weg. Sejer nahm etwas aus dem Ordner und schob es Zipp hin.
    »Was meinst du, Zipp«, fragte er mit ernster Miene und bohrendem Blick, »lebt er noch?«
    Zipp starrte das Bild von Andreas an. »Ich weiß nicht«, stammelte er.
    »Gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, daß er tot

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