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Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)

Titel: Dunkler Schlaf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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ist?«
    »Ich weiß nicht«, wiederholte Zipp verzweifelt. Er hatte das ekelhafte Gefühl, in eine Falle gegangen zu sein. »Glauben Sie, daß er tot ist?« fragte er tonlos.
    Sejer lehnte das Bild an die Kaffeekanne. »Warum lügst du?« fragte er schlicht.
    Da war es endlich! Er hatte gewußt, daß das früher oder später kommen würde, er war so unbeschreiblich gut darauf vorbereitet. Die Frage traf ihn wie ein Gummiball und prallte ab. Hinterließ keine Spur bei ihm.
    »Ich weiß nichts«, sagte er mit Nachdruck.
    »Diese Männer auf dem Marktplatz. Können wir die abschreiben?«
    »Ich weiß nicht, wo die hinwollten«, sagte Zipp.
    »Waren sie überhaupt da?«
    »Ich habe sie nur von ferne gesehen.«
    »Wie viele waren es?«
    Was hatte er vorhin gesagt? Zwei? Oder drei?
    »Zwei oder drei. Ich weiß es nicht mehr.«
    »Machst du dir Sorgen um deinen besten Kumpel?«
    »Natürlich.« Zipp starrte Sejer wütend an. Zugleich versuchte er, dessen Plan zu erraten.
    »Warum hilfst du mir dann nicht?«
    »Ich helfe doch. Aber ich weiß das alles nicht mehr.« Er verlor die Beherrschung. Und hatte nichts mehr im Griff. »Ich habe gesagt, was ich weiß. Kann ich jetzt gehen?«
    »Nein.«
    »Aber ich bin doch nicht verhaftet?«
    »Du kannst nicht gehen.«
    »Warum nicht?«
    »Ich bin noch nicht fertig.«
    Zipp spürte, daß er langsam fiel. Die Wahrheit zu sagen erschien ihm plötzlich leichter. Er begriff alles. Daß Leute Dinge gestanden, die sie nicht getan hatten, nur um ihre Ruhe zu haben. Er schwankte in seinem Sessel. Gefahren drohten von allen Seiten. Sie wehten durch das Fenster, kletterten seine Beine hoch. Diese schreckliche Zukunft, die er nicht haben wollte. Anklage und Urteil. Die Mutter des Babys auf der vordersten Bank, sie starrte ihn an, als er in den Zeugenstand trat. Ein schwarzgekleideter Richter mit einem riesigen Hammer, der mitten in Zipps Brust dröhnte. Er schlug das Herz aus seinem Rhythmus, es stockte, er bekam keine Luft. Jahre allein auf zwei mal drei Metern, dachte Zipp. Ihm wurde schwindlig. Ein Sausen und zugleich ein Bohren im Kopf. Er wollte sich verstecken und griff nach dem Kaffeebecher, sah seine Hand in seinem Blickfeld auftauchen, streckte sie nach dem Becher aus, verfehlte ihn aber und stieß ihn um. Der Kaffee schwappte über den Tisch.
    Tropfte auf seine Oberschenkel und brannte auf der Haut.

 
    I ch erzählte Andreas von Zipps Anruf. Ich hatte erwartet, daß er schreien würde, aber die Kraft hatte er nicht mehr. Er sah gleichgültig aus, was ich nicht verstehen konnte. Vielleicht brauchte er Zeit, um sich mit dem Allerschlimmsten abzufinden, damit, daß er vielleicht dort unten im Keller sterben würde. Allein, zwischen Kartoffeln und Spinnen und Mäusen. Wir Menschen kennen keine Grenzen. Mit fast allem können wir fertig werden, wenn wir nur Zeit genug haben. Er wollte nicht reden. Er sperrte mich aus. Ich ärgerte mich nicht, ich stand nur eine Weile vor ihm und quälte ihn mit meiner Anwesenheit. Zupfte an meinen Jackenknöpfen. Dann ging ich wieder nach oben. Fing an, in Schubladen und Schränken aufzuräumen. Es war mir wichtig, wie ich sie hinterlassen würde; einige Papiere und verschlissene Kleider hatte ich in Säcke gestopft. Ich hatte nicht mehr viel Zeit. Andreas war erschöpft. Er hatte mir besser gefallen, als er gebettelt und gefleht hatte, jetzt bat er um gar nichts. Er schloß die Augen, wenn ich auf der Treppe stand. Ich knallte mit den Türen und trampelte über den Boden. Er hatte nur mich! Er behauptete, keine Schmerzen zu haben, aber ich glaubte ihm nicht. Er gönnte es mir nicht, ihn leiden zu sehen. Vielleicht brachte er es ja doch nicht über sich weiterzumachen. Aus diesem Keller in ein Krankenhaus verfrachtet zu werden. Sein Leben im Rollstuhl zu verbringen. Mit diesen vielen Erinnerungen. Es kann ein Leben geben, das man einfach nicht durchsteht, das dachte er wirklich. Ich konnte ihn nicht trösten. Er hatte keinen Trost verdient. Er hätte nicht herkommen dürfen.
    Die Verzweiflung traf mich ab und zu wie ein unerwarteter Windstoß. Unvorhersehbare Wallungen von Panik. Ich kannte mich selbst nicht mehr. Wir hatten das beide nicht verdient, wir hatten es beide nicht gewollt. Andreas war ein Blitz aus heiterem Himmel gewesen. Und hatte mich getroffen. Dann wieder mußte ich lachen. Diese Tage und alles, was passiert war, das war doch einfach unfaßbar. Wahrscheinlich nicht wirklich. Ein junger Mann im Keller einer alten Frau, was für eine

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