Dunkler Schlaf: Roman (German Edition)
Geschichte! Ich riß mich los und lief zum Fenster. Ab und zu müssen wir essen und uns ausruhen, ich hatte seit einer Ewigkeit nicht mehr gegessen. Ich sah ein Ende der Verzweiflung, eine plötzliche Klarheit. Ich ließ alles stehen und liegen. Schlimmer konnte es nicht werden. Ich mußte diese lächerliche Vorstellung ein für allemal beenden. Er hatte genug gelitten. Er hatte Lehrgeld bezahlt. Ich stand auf und öffnete die Luke. Rief ihm zu: »Ich gehe zur Polizei! Und dann kommen sie dich holen.«
Er glaubte mir wohl nicht. Ich war sehr müde. Die Polizei sollte mit mir machen, was sie wollte, mir war das egal. Andreas konnte alles erklären. Er hatte schließlich angefangen.
»Ist dir schlecht, Zipp? Du bist so blaß.«
Sejer wischte mit Papier aus dem Behälter am Waschbekken den Kaffee vom Tisch. Zipp klammerte sich an die Tischkante und gab keine Antwort. Sein Körper hatte ihn verraten. Aber das war in Ordnung. Der Polizist war jetzt ganz offen sein Feind, täuschte keine Freundlichkeit mehr vor. Nun würde er andere Methoden anwenden, härter vorgehen, ihn vielleicht bedrohen. Das war eine Erleichterung. Er war nicht mehr empfänglich für Sejers Freundlichkeit, konnte nicht mehr verführt oder ausgetrickst werden. Er biß die Zähne zusammen.
Sejer kannte diese Signale aus Hunderten von Gesprächen. Auch für ihn waren sie eine Erleichterung. Sie bedeuteten den Übergang in eine neue Phase. Er kannte das Muster, die Mimik, die Körpersprache. Die ständig steigende Spannung im Raum, eine Andeutung von Zorn, unter der sich die Angst versteckte. Was konnten die beiden in dieser schicksalhaften Nacht angestellt haben? Er starrte Zipp mit aufrichtiger Neugier an.
»Ich hoffe um Gottes und Andreas’ willen, daß du gute Gründe für dein Schweigen hast«, sagte er scharf.
Zipp ließ sich nicht provozieren. Er war eine Mauer ohne Öffnung, ohne auch nur einen Spalt. Alles in ihm fühlte sich schwer und sicher an. Er war ganz und gar uneinnehmbar.
»Lebt Andreas noch?«
Zipp ließ sich Zeit. Er versäumte schließlich nichts. »Das weiß ich nicht.«
Das stimmte. Das war zu leicht. Fast mußte er lächeln.
»Worüber habt ihr euch gestritten?«
»Wir haben uns nicht gestritten.«
Sejer verschränkte die Arme. »Hier geht es nicht nur um dich. Er hat eine Mutter, die Angst aussteht, und einen Vater, der sich Sorgen macht. Du weißt allerlei, das uns vielleicht helfen kann. Wenn er als etwas endet, das wir in einem Sack nach Hause tragen müssen, wirst du dir bis an dein Lebensende Vorwürfe machen.«
Das war hart. Zipp mußte das zugeben.
»Ich bin nicht daran schuld«, sagte er.
»Woran?«
»Ich weiß nicht.«
Er wunderte sich darüber, wie schwer es war, einfach zu schweigen. Die grauen Augen waren so stark, verlangten so viel von ihm, hielten ihn fest.
»Hast du schon einmal einen Toten gesehen?«
Das hatte er nicht. Er hatte damals, vor langer Zeit, seinen Vater nicht sehen wollen. Er gab keine Antwort.
»Das erste Mal ist überwältigend. Es verschlägt uns den Atem. Daß wir wirklich sterben müssen.«
Zipp hörte zu. Der Ernst machte ihm angst. Es gab so viel, was er nicht wußte, er war im Grunde ein Idiot. Dieses Gefühl verdrängte er. Er war kein Idiot, er hatte nur verdammtes Pech gehabt.
»Wenn der Tote ein Mensch ist, den du gut gekannt hast, dann ist dieses Gefühl doppelt so stark. Er liegt da und liegt doch nicht da. Es ist, als wäre eine Mauer eingestürzt.«
Er legte eine Pause ein. Plötzlich sah er das tote Gesicht seiner Mutter vor sich, und das störte ihn. »Ihr habt so viel geteilt, wie es unter Kumpels eben so ist. Kommst du ohne ihn zurecht?«
Zipp verzog den Mund. Sein Hals schnürte sich zusammen, seine Augen brannten, aber er zuckte nicht mit der Wimper. Hoffte nur, daß das Wasser, das in ihm hochstieg, nicht zu Tränen werden würde. Obwohl das einen guten Eindruck machen konnte. Er war verzweifelt, verdammte Axt. Aber der Mann hatte noch mehr auf Lager, das war seiner Stimme anzuhören. Er hatte gerade erst angefangen.
»Wie wäre dir zumute, wenn du indirekt einen Tod verursacht hättest?«
Bei dieser Frage hätte er fast ein trockenes Lachen ausgespuckt, aber er konnte sich gerade noch am Riemen reißen. Vielleicht würden sie nie dahinterkommen, wer diese Hölle mit dem Baby verursacht hatte. Vielleicht war es das beste, wenn Andreas tot war. Dieser Gedanke kam ganz plötzlich, deutlich, aber unerwartet und auf jeden Fall logisch. Er machte ihm
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